Geier über Amazonien
Ölpalmplantagen und neues Waldgesetz: Brasiliens Regierung will weltgrößtes Regenwaldgebiet noch stärker wirtschaftlich ausbeuten lassen
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *
Es ist bekannt, daß der Anbau afrikanischer Ölpalmen eine der
Hauptursachen für Regenwaldabholzung und Umweltverschmutzung in
Südostasien ist. Einwohner und Umweltschutzorganisationen kämpfen seit
Jahren in Malaysia und Indonesien gegen die Ausweitung der Plantagen,
deren Pflanzen zur Herstellung von Palmöl bzw. Agrodiesel genutzt
werden. Jetzt schickt sich Brasilien an, sein Amazonasgebiet mit Hilfe
von internationalen Investoren zum weltweit größten Palmölproduzenten zu
entwickeln.
So investiert derzeit der malaysische Palmölgigant Felda Palm Industries
Dutzende von Millionen US-Dollar im Herzen Amazoniens. Im Distrikt Tefé,
rund 500 Kilometer westlich von Manaus, will Felda auf insgesamt 100000
Hektar Ölpalmplantagen anlegen. Partner des von der Banco da Amazônica
(Basa) kofinanzierten Projekts ist das brasilianische Palmölunternehmen
Braspalma. Die erste Plantage mit 20000 Hektar soll bereits im kommenden
Jahr ergrünen.
Offiziellen Verlautbarungen der Regierung des Bundesstaates Amazonas
zufolge wird für das Projekt kein Regenwald abgeholzt. Das für die
Plantagen vorgesehene Gebiet sei nämlich bereits in den 1980er Jahren
kahlgeschlagen worden. Schon die damalige Militärdiktatur (1964–1985)
träumte von einem Ölpalmenmeer in Amazonien. Das damals mit
Weltbankgeldern finanzierte Palmölprojekt von Tefé, ausgeführt von der
landeseigenen Vorgängerfirma von Braspalma, der Empresa Amazonense de
Dendê (Emade), war jedoch ein Flop. Statt der vorgesehenen 2000 Hektar
wurden nur 1410 Hektar bepflanzt; neun Jahre später wurde das Ganze
eingestellt.
Hohe Profite locken
Heute verspricht eine solche Plantage dank rasant gestiegener
Weltmarktpreise für das daraus gewonnene »Universalprodukt« hohe
Profite. In den vergangenen zwei Jahren sei der Palmölpreis an der Börse
von Malaysia um 135 Prozent gestiegen, so das brasilianische
Wirtschaftsblatt Valor Econômico Ende Juli. Der andere Antreiber des
Projektes ist die 1973 ebenfalls schon von der Militärdiktatur
gegründete Agrarforschungsanstalt Embrapa. Nach deren Ansicht besitzt
das brasilianische Amazonasgebiet weltweit das größte Palmölpotential.
Schätzungsweise 70 Millionen Hektar könnten bepflanzt werden – zehnmal
mehr als die gesamten heutigen Ölpalmplantagen Indonesiens. Brasilien
könnte so jährlich 350 Millionen Kubikmeter Erdöl (ein Kubikmeter
entspricht einer Masse zwischen 0,7 und 0,9 Tonnen) durch Palmdiesel aus
Amazonien ersetzen. Sieben Millionen Familien könnten so eine berufliche
Existenz erhalten, so die Embrapa.
Bei diesen Zahlenspielen wird geflissentlich ignoriert, daß Amazonien
kein »Niemandsland ohne Menschen« ist. Obwohl das gesamte Gebiet von
indigenen Völkern bewohnt wird, hat der moderne brasilianische Staat
bisher nur einen geringen Anteil als Indianerreservate anerkannt. Der
Rest ist sozusagen für den »Abschuß«, sprich die kommerzielle
Entwicklung freigegeben.
Einziges Hindernis ist das noch gültige brasilianische Waldschutzgesetz.
Im sogenannten Código Florestal von 1965 ist festgelegt, daß
Landbesitzer oder Investoren in Amazonien lediglich 20 Prozent des
Regenwaldes legal abholzen dürfen. Der Rest muß als Waldreservat,
Reserva Legal genannt, erhalten bleiben. Wird mehr – also illegal –
abgeholzt,so besteht theoretisch die Pflicht, das Gebiet mit
einheimischen Baumarten wiederaufzuforsten.
Der Agrarindustrie ist dieser Código Florestal schon seit jeher ein Dorn
im Auge. »Mit nur 20 Prozent produktiver Fläche mache ich keinen
Gewinn«, lamentiert beispielsweise Blairo Maggi, Brasiliens mächtigster
Soja-Produzent. Der Multimillionär ist zugleich Gouverneur des
Amazonasstaates Mato Grosso. Ins selbe Horn stößt auch der bislang
größte Palmölproduzent Amazoniens, die Firma Agropalma mit über 30000
Hektar eigener Plantagen im Bundesstaat Pará. Für dessen Direktor
Marcello Amaral Brito ist das Waldschutzgesetz schlichtweg ein
Investitionshindernis: »Kennen Sie jemanden, der ein Apartment mit fünf
Zimmern kauft, aber nur eines nutzen darf?« fragte Brito bereits 2006 im
Journal O Eco (übersetzt »Der Öko«).
Segen der Regierung
Gestützt von Präsident Luiz Inacio »Lula« da Silvas
Landwirtschaftsminister Reinhold Stephanes, wird deshalb gerade
versucht, eine von der Agrarlobby seit 2005 angestrebte Änderung des
Código Florestal in Brasilia durchzudrücken. Der Änderungsentwurf setzt
exotische, für die industrielle Anwendung entwickelte Baumarten wie
Ölpalmen aus Afrika oder Eukalyptus aus Australien einheimischen Arten
gleich. Bis zu 30 Prozent der illegal abgeholzten Flächen dürften nach
dem neuen Gesetz unter dem Namen »Wiederaufforstung« für Ölpalm- und
Eukalyptusplantagen verwendet werden: Palmöl zur Margarine- und
Biodieselproduktion; Eukalyptusholz zur Herstellung von Holzkohle für
Amazoniens energiehungrige Stahlindustrie oder künftig auch zur
Produktion von Äthanol aus Zellulose. Mit dem neuen Código Florestal, so
sein Initiator, Senator Flexa Ribeiro aus Pará, »kehrten die
Landbesitzer, die ihren Wald illegal abholzen ließen, zurück in die
Legalität und hätten wieder ein Anrecht auf Agrarkredite und staatliche
Hilfe«.
Parallel dazu arbeitet die Agrarlobby an zwei weiteren Plänen, die
faktisch zur Aufweichung des Amazonasschutzes führen: die von »Lulas«
Sonderminister für strategische Fragen, Roberto Mangabeira Unger,
favorisierte Aufteilung der Region in Zonen für die wirtschaftliche
Entwicklung sowie in ökologische Zonen. Zum anderen sollen mehrere,
bislang zur Amazonasregion Amazonia Legal gehörende Gemeinden per
Federstrich aus dem Gebiet herausgenommen werden. Dort dürfte man dann
auch ohne Waldschutzgesetzänderung legal bis zu 80 Prozent abholzen.
* Aus: junge Welt, 2. August 2008
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