Wer hat Angst vorm Schwarzen Block?
Soziale Auseinandersetzungen in Brasilien eskalieren zunehmend in Gewalt – bei Polizei und jungen Radikalen
Von Andreas Knobloch *
Ein Schreckgespenst geht um in Brasilien und macht der bürgerlichen Öffentlichkeit Angst: der schwarze Block. Auch in dieser Woche gab es wieder massive Ausschreitungen.
Nach einer Lehrerdemonstration in Rio de Janeiro und einem Protestmarsch von Studenten in São Paulo am Dienstag lieferten sich eine kleine Gruppe Vermummter und die martialisch ausgerüstete Militärpolizei schwere Auseinandersetzungen.
Die Situation in Rio de Janeiro eskalierte im Anschluss an eine zunächst friedliche Demonstration zum »Tag des Lehrers« mit rund zehntausend Teilnehmern. Es flogen Flaschen und Steine, ein Polizeiauto ging in Flammen auf, Scheiben von Bankfilialen barsten; die Polizei setzte Tränengas, Gummigeschosse und Schlagstöcke ein. Mindestens 200 Menschen wurden festgenommen. Ein Demonstrant wurde mit Schussverletzungen in beiden Unterarmen ins Krankenhaus eingeliefert.
Es ist das erste Mal seit Beginn der Sozialproteste Anfang Juni, dass jemand wegen Schussverletzungen ärztlich behandelt werden muss. Aufnahmen des TV-Senders Globo zeigen zwei Männer unbekannter Identität, die aus Pistolen in Richtung der Demonstranten feuern.
Bereits in der Vorwoche hatte es im Anschluss an eine zunächst friedliche Demonstration schwere Zusammenstöße gegeben. Lokale Medien machen den Schwarzen Block (black bloc) für die Eskalation verantwortlich; die Demonstranten dagegen sehen in der Allianz zwischen streikenden Lehrern und schwarz gewandeten und vermummten Jugendlichen eine Reaktion auf das harte und teilweise brutale Vorgehen der Polizei bei früheren Märschen. Die Lehrer würden von den schwarz gekleideten Jugendlichen geschützt, so Alex Trentino von der Lehrergewerkschaft SEPE. Sie seien auch oft die ersten, die sich um Verletzte kümmerten.
Der Ausstand von Rios Lehrern an staatlichen Schulen hatte am 8. August begonnen; auch in den Bundesstaaten Goias und Mato Grosso befinden sich Pädagogen seit Wochen im Streik. Angeführt von SEPE, fordern sie höhere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Investitionen im Bildungsbereich. In Rio richtet sich der Protest vor allem gegen einen umstrittenen Bildungsplan, der Bestimmungen für die berufliche Laufbahn enthält, sowie einen Beschluss der Stadtregierung, die Lohnerhöhungen nur für Vollzeitkräfte vorsieht. Der Beruf des Lehrers gehört zu den am schlechtesten bezahlten – kurioserweise gemeinsam mit dem des Polizisten. Die Stadtregierung hat den Bildungsplan zwar mit zahlreichen Änderungen verabschiedet, ohne aber auf die Forderungen der Lehrer einzugehen, weshalb die Proteste fortgesetzt werden.
Angesichts der Gewalteskalation schaut das Land mit großen Fragezeichen in den Augen auf den Schwarzen Block. Wer sind dessen Mitglieder? Anarchisten? Frustrierte Jugendliche? Entschiedene Antikapitalisten, die sich vorgenommen haben, Brasilien vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu blamieren? Auch wenn in den Medien dieser Anschein erweckt wird, handelt es sich um kein wirklich neues Phänomen – auch für Brasilien nicht. Die Radikalisierung der Proteste hat die Gruppe nur sichtbarer werden lassen. Was im Sommer zunächst als lokaler Widerstand gegen Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr begann, ist mittlerweile in einen allgemeinen Unmut gegen Korruption, Polizeigewalt, soziale Ungerechtigkeit, schlechte Krankenhäuser und Schulen angewachsen.
Dem Schwarzen Block wird von der konservativen Presse eine politische Motivation abgesprochen. Es wird versucht, zwischen guten, weil friedlichen, und schlechten, weil gewalttätigen, Demonstranten zu unterscheiden und die Bewegung so zu spalten und zu demobilisieren. Immer wieder taucht der Vorwurf auf, es handele sich um von linken Gruppen und Gewerkschaften bezahlte Vandalen, die die Gewalt bewusst schürten. Auch wird der Eindruck erweckt, es gebe eine zentrale Leitung und feste Mitgliedschaften. Mit einem solchen Konstrukt versucht die Polizei, festgenommenen Demonstranten die Bildung einer kriminellen Vereinigung anzuhängen. Erst kürzlich war zudem in Rio ein Gesetz erlassen worden, das Vermummung verbietet. Auf der anderen Seite scheint Brasiliens Polizei mit Deeskalation überfordert zu sein und geht immer wieder überhart vor.
Auch eine Studentendemonstration in São Paulo endete in Gewalt. Die Polizei setzte erstmals wieder Gummigeschosse ein. Diese waren verboten worden, sind nach »vandalischen Akten« im Anschluss an einen Protest in der vergangenen Woche nun aber wieder erlaubt.
Die Studenten der USP (Universidade de São Paulo) fordern mehr Mitbestimmung. Seit zwei Wochen halten sie bereits das Rektorat der Universität besetzt. Ein Gericht gab den Besetzern nun 60 Tage Zeit, das Gebäude zu räumen.
Der Vorsitzende Richter erkannte die Besetzung als eine Form des Protestes an, weshalb er die von der Hochschulleitung geforderte sofortige Räumung ablehnte. Die 60 Tage sollten genutzt werden, eine »friedliche Lösung auf dem Verhandlungsweg« zu erreichen, die Gewalt durch die Polizei führe in die Sackgasse und provoziere nur mehr Gewalt.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Oktober 2013
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