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Polizei auf dem Campus

Von Studenten besetztes Rektorat der Universität von Sao Paulo geräumt

Von Andreas Knobloch *

Die Besetzung des Rektorats der Universität von São Paulo (USP) ist beendet. Am frühen Dienstag morgen (Ortzeit) räumte die Militarisierte Polizei (PM) das seit vergangenen Mittwoch besetzte Gebäude. Insgesamt 70 Studenten wurden festgenommen. Bei der Räumung hatte es kaum Gegenwehr gegeben. Als die 400 behelmten Polizisten ab 5 Uhr morgens in das Gebäude eindrangen, schliefen die meisten Besetzer noch. Die Räumung war erwartet worden, nachdem eine Vollversammlung am Montag abend, an der rund 500 Studenten teilgenommen hatten, ein Ende der Besetzung abgelehnt hatten. Die Entscheidung fiel einstimmig. Im Anschluß kam es zu Rangeleien mit Pressevertretern; ein Fotograf wurde leicht verletzt und ins Krankenhaus gebracht.

Nach einem Vermittlungsgespräch zwischen Studentenvertretern und Repräsentanten der USP am Samstag war den Besetzern bis 23 Uhr Ortszeit am Montag Zeit gegeben worden, das Gebäude zu räumen. Ein weiteres Gespräch zwischen Studenten und Unileitung am Montag verlief ohne Ergebnis. Im Grunde geht es bei dem Streit um die Präsenz von Polizeieinheiten auf dem Universitätsgelände. Die Besetzer fordern einen Abzug, während das Rektorat die Vereinbarung mit der PM beibehalten will und höchstens Einzelheiten zu diskutieren bereit ist.

Bereits in der vergangenen Woche hatte es zwei Ultimaten an die Besetzer gegeben, die aber jeweils verlängert worden waren, um vielleicht doch noch eine Einigung zu ermöglichen. Allerdings wurden Strom und Internet in dem besetzten Gebäude abgestellt, um den Druck zu erhöhen. Eine Gruppe Studenten war vergangenen Mittwoch in das Rektorat eingedrungen aus Unzufriedenheit über eine Abstimmung, bei der zuvor die Räumung des seit einer Woche besetzten Verwaltungsgebäudes der Philosophischen Fakultät beschlossen worden war.

Der Streit war Ende Oktober eskaliert, als die Polizei drei Studenten festnahm, die in einem Auto auf dem Unigelände Marihuana geraucht hatten. Sie wurden auf eine Polizeistation gebracht und danach freigelassen. Ungeachtet dessen begannen Studenten daraufhin für ein Verschwinden der PM vom Campus zu protestieren, und es kam zu der Besetzung in der Philosophischen Fakultät. Doch die Studentenschaft ist in der Frage keineswegs einig. Am Dienstag vergangener Woche demonstrierten rund 300 von ihnen gegen die Aktion und für einen Verbleib der PM auf dem Unigelände.

Jahrelang war der Polizei das Betreten der Uni untersagt; seit zwei Monaten nun patrouilliert sie auf dem Campus. Die Unileitung hatte – unterstützt von einem Teil der Studentenschaft – nach dem gewaltsamen Tod des 24jährigen Felipe Ramos de Paiva, der im Mai bei einem Raubüberfall in der Uni erschossen worden war, Polizei angefordert.

Die Wurzeln des Konflikts zwischen Studenten der USP und Polizei reichen zurück bis in die Zeit der Militärdiktatur (1964–1985). Damals war eine der Hauptaufgaben der Polizei, gegen »subversive« Bewegungen vorzugehen, die nicht selten ihren Ursprung oder Verbindungen in die Uni hatten. Es wurden spezielle Gesetze erlassen, um kritische Studenten, Professoren und Funktionäre auszuspionieren und zum Schweigen zu bringen. Polizei und Uni – das war in erster Linie Repression. Das Mißtrauen besteht bis heute. Im Juni 2009 wurde die PM auf dem Unigelände gegen streikende Studenten eingesetzt. Damals gab es heftige Proteste gegen die Polizeipräsenz. Heute sind viele Studenten bereit, die Anwesenheit der PM zur »Kriminalitätsbekämpfung« hinzunehmen.

* Aus: junge Welt, 9. November 2011


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