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Rio: Nulllösung nicht zum Nulltarif

Brasiliens Metropole am Zuckerhut will Müll von den Straßen holen

Von Andreas Knobloch *

Die brasilianische Metropole Rio de Janeiro soll nicht nur sicherer, sondern auch sauberer werden. Waren die Vorbereitungen auf die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 am Zuckerhut bisher vor allem auf Kriminalitätsbekämpfung und die »Befriedung« von Favelas konzentriert, gehen die Behörden nun rigoros gegen den Müll in der Stadt vor.

»Null Müll« (Lixo Zero) heißt das Programm, in dessen Rahmen seit einer Woche Beamte von Rios Stadtreinigung Comlurb (Companhia Municipal de Limpeza Urbana) Strafzettel für unachtsam weggeworfene Abfälle verteilen. Begleitet werden sie auf ihren Touren von jeweils einem Mitarbeiter der Stadtverwaltung und von einem bewaffneten Polizisten. 58 Dreier-Teams sind zunächst vor allem in den Innenstadtbezirken unterwegs. Später sollen die Routen ausgeweitet werden auf Favelas und die Peripherie.

Mit drakonischen Geldbußen versucht »Lixo Zero« die Bevölkerung anzuregen, ihren Müll nicht mehr einfach achtlos auf die Straße zu werfen. Die Umsetzung des Programms war aufgrund des Papstbesuches und der Sozialproteste um mehrere Wochen verschoben worden. Für weggeworfene Zigarettenkippen, Bonbonpapier, Kaugummi oder Getränkedosen sind künftig 157 Reales (48 Euro) zu berappen. Bei einem Durchschnittslohn von 763 Reales (235 Euro) eine durchaus empfindliche Strafe. Die Geldbußen können je nach Vergehen bis zu 3000 Reales (923 Euro) betragen.

Allein in den ersten Tagen wurden mehrere Hundert Strafzettel verteilt, zum überwiegenden Teil für weggeschnippte Zigarettenstummel, wie lokale Zeitungen berichteten. Die Beamten der Stadtreinigung waren zuvor extra trainiert worden, den Erklärungen und Ausreden der Ertappten kein Gehör zu schenken.

Die in flagranti erwischten »Sünder« müssen sich ausweisen. Können sie dies nicht oder verweigern es, dürfen sie mit auf die Polizeiwache genommen werden. Zudem droht bei Nichtbegleichung der Strafen ein Eintrag bei Serasa, der brasilianischen Schufa – mit negativen Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit.

Das Vorgehen der Stadt nach dem Motto »Der Geldbeutel ist das sensibelste Organ des Bürgers« werde nichts ändern, wenn die Kampagne nicht durch Aufklärungsarbeit und die Anbringung von mehr Müllbehältern begleitet wird, kritisiert Dan Moche, Spezialist für Umweltmanagement und Abfallwirtschaft, gegenüber der Tageszeitung »O Globo«. Strafen allein seien ineffizient.

»Wir werden die Anzahl der Müllbehälter von derzeit 30 000 erhöhen; bis Ende des Jahres werden 7000 dazukommen. Zudem prüfen wir, größere Modelle anzubringen, vor allem in Gegenden, wo viel Abfall produziert wird«, sagt der Präsident der Comlurb, Vinicius Roriz. Auch über die Beschaffung resistenterer Behälter, beispielsweise aus Kokosnussfasern, werde nachgedacht. Die existierenden Plastikmodelle werden oft beschädigt oder gestohlen und an private Recycler verkauft. Das Problem vieler Müllbehälter in Rio ist zudem die zu kleine Öffnung: große Pappkartons oder selbst Kokosnussschalen passen oft nicht durch.

»Aber wenn die Menschen nicht ihre Gewohnheiten ändern und zum Beispiel das Papier in der Hand behalten, bis sie am nächsten Abfallbehälter vorbeikommen, bewirkt die Erhöhung der Anzahl von Behältern nichts«, so Roriz. An einem Einstellungswandel der Cariocas, wie die Einwohner von Rio genannt werden, führt auf alle Fälle kein Weg vorbei, wenn das Projekt Erfolg haben soll.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. August 2013


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