Landlose machen Druck auf Lula
Brasiliens MST begeht "Roten April"
Von Andreas Knobloch, São Paulo *
Die Landlosenbewegung MST gehört zu den einflussreichsten sozialen Bewegungen Brasiliens.
Jedes Jahr erinnert sie mit landesweiten Aktionen an das Massaker von Eldorado dos Carajás am
17. April 1996, bei dem 19 Landarbeiter von der Militärpolizei ermordet wurden.
Der April ist in Brasilien traditionell gekennzeichnet durch Proteste und Besetzungen der
Landlosenbewegung MST. Ihren diesjährigen »Roten April« begann die MST am Mittwoch mit
Besetzungen in elf Bundesstaaten. Der Anlass: Gedenken an das ungesühnte Massaker von
Eldorado dos Carajás am 17. April 1996, bei dem 19 Landarbeiter von der Militärpolizei ermordet
wurden. Im Jahr 2002 erklärte der damalige Präsident Brasiliens, Fernando Henrique Cardoso,
dieses Datum zum Jahrestag des Kampfes für die Agrarreform.
Im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará demonstrierten in Belém 500 Bauern. Weitere 900
versammelten sich in Eldorado dos Carajás, um der Opfer des Massakers zu gedenken. In der
Nacht zum Dienstag drangen Mitglieder der MST in das Landgut Santa Bárbara im selben
Bundesstaat ein, das zur Gruppe des Bankiers Daniel Dantas gehört. Sie vertrieben Dutzende
Funktionäre und ihre Familien und bedrohten sie mit dem Tod, sollten sie zurückkehren.
Die Aktion war als Protest gedacht gegen eine Entscheidung der Justiz, zwölf Mitglieder der MST
wegen Waffenbesitz und Bildung einer kriminellen Bande weiterhin in Haft zu halten. »Was hier
passiert ist die Kriminalisierung sozialer Bewegungen, die für die Umsetzung der Agrarreform
kämpfen«, stellte der Koordinator der MST in Pará, Ulisses Manaças, in einer Erklärung fest. Für ihn
ist vielmehr die Straflosigkeit von Gewalt gegen Landlose Grund der Verschärfung des Kampfes.
Während zwischen 1985 und 2007 1493 Landarbeiter Morden zum Opfer fielen, wurden gerade
einmal 71 Täter verurteilt und 49 freigesprochen. 19 weitere wurden zwar verurteilt, haben ihre
Haftstrafen aber nie antreten müssen. In den meisten Fällen kommt es noch nicht einmal zu
Verfahren. Auch die Verantwortlichen des Massakers von Eldorado dos Carajás sind bis heute
straffrei geblieben.
In Pernambuco gab es im Rahmen der Nationalen Aktionswoche des Kampfes für eine Agrarreform
drei Landbesetzungen durch die MST, an denen insgesamt 400 Familien teilnahmen. Damit soll der
Druck auf die staatlichen und bundesstaatlichen Behörden erhöht werden, Landgüter zu enteignen
und für die Landreform zur Verfügung zu stellen. Laut MST verfügt die Landlosenbewegung im
Bundesstaat Pernambuco über 140 provisorische Lager und 187 Ansiedlungen.
Im äußersten Westen des Bundesstaats São Paulo drangen 200 MST-Mitglieder in der Nacht zum
Dienstag in das Landgut São José in Marabá Paulista ein und besetzten es. In Campo Grande
protestierten rund 300 MSTler vor dem Sitz der INCRA (Instituto Nacional de Colonização e
Reforma Agrária), der dem brasilianischen Landwirtschaftsministerium unterstellten, für Landfragen
zuständigen Behörde, gegen die Verzögerung der Agrarreform im Bundesstaat Mato Grosso do Sul.
In Rio de Janeiro und Recife dagegen wurden die dortigen INCRA-Gebäude kurzerhand besetzt.
Die MST hält die Agrarreform der Regierung Luiz Inácio »Lula« da Silva für gescheitert. Geplant war
die Ansiedlung von 550 000 Familien, doch gerade einmal 163 000 Familien hätten Land
zugewiesen bekommen, stellte die MST fest. Die Regierung bestreitet die Angaben der MST zwar,
ohne allerdings eigene Zahlen zu nennen. Die Landlosenbewegung fordert angesichts der
weltweiten Wirtschaftskrise eine Umstrukturierung der brasilianischen Landwirtschaft; weg vom
exportorientierten Agrarbusiness hin zu einer auf den Binnenmarkt ausgerichteten Produktion auf
kleinerer Skala und einer Umverteilung des Grund und Bodens. Brasilien ist eines der Länder mit der
ungerechtesten Landverteilung weltweit.
* Aus: Neues Deutschland, 18. April 2009
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