Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Letzter Akt in Causa Battisti

Brasilien weist Italiens Antrag auf Auslieferung des Exterroristen ab

Von Andreas Knobloch *

Die Freilassung des ehemalige Mitglieds der italienischen Roten Brigaden, Cesare Battisti, ist zu einer ernsten Belastungsprobe der Beziehungen zwischen Italien und Brasilien geworden.

Brasiliens Oberster Gerichtshof hatte am 8. Juni eine Klage Roms auf Auslieferung Battistis abgewiesen und dessen sofortige Haftentlassung angeordnet. Nach vier Jahren Haft im brasilianischen Papuda hatte Battisti in der vergangenen Woche das Gefängnis als freier Mann verlassen. Zudem hatten die Richter seinem Antrag auf dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung stattgegeben.

Italienische Politiker und Medien reagierten empört auf die Freilassung. Außenminister Franco Frattini bestellte den Botschafter in Brasilia, Gherardo La Francesca, zu Konsultationen nach Rom, um weitere rechtliche Schritte und Möglichkeiten zu diskutieren. Zudem kündigte er Ende vergangener Woche an, das Urteil vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzufechten. Sein Land werde jeden möglichen Rechtsweg beschreiten, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Ministerpräsident Silvio Berlusconi sah gar Ita­liens »Sinn von Gerechtigkeit verletzt«. Und der Sonderminister für Vereinfachungen in der Gesetzgebung, Roberto Calderoli, der im Ausland vor allem wegen seiner rassistischen und homophoben Äußerungen bekannt ist, forderte einen Boykott der Fußball-WM in Brasilien. »Die Würde Italiens verteidigt man nicht mit einem Florett, sondern mit dem Schwert«, kommentierte Alessandra Mussolini, Mitglied von Berlusconi Regierungspartei PdL (Volk der Freiheit) die Entscheidung in Brasilia.

Mit der Entscheidung vom 8. Juni machte das Oberste Gericht einem fast zweijährigen juristischen Hin und Her ein Ende. Die obersten Richter selbst hatten im November 2009 eine Entscheidung des damaligen Justizministers Tarso Genro, Battisti politisches Asyl zu gewähren, außer Kraft gesetzt und verfügt, ihn nach Italien auszuliefern. Genro hatte Battistis mutmaßliche Vergehen als »politische Verbrechen« gewertet und »fundierte Befürchtungen« geäußert, er könne in Italien wegen seiner politischen Überzeugungen verfolgt werden. Der Fall sorgt bereits seit Jahren für erhebliche Verstimmung zwischen Rom und Brasilia.

Als Gründungsmitglied der mit den Roten Brigaden verwandten »Bewaffneten Proletarier für den Kommunismus« war Battisti zum ersten Mal 1979 in Italien festgenommen worden. Kurz darauf gelang ihm jedoch die Flucht nach Frankreich und von dort aus 1982 nach Mexiko. 1990 kehrte er unter dem Schutz der »Mitterrand-Doktrin« nach Frankreich zurück, arbeitete als Hausmeister und veröffentlichte elf Romane. Die Regierung Mitterrand (1981–1995) weigerte sich damals, Exterroristen, die dem bewaffneten Kampf abgeschworen hatten und kein »Blutverbrechen« begangen hatten, auszuliefern. Unter Jacques Chirac (1995–2007) wurde diese Position zum Teil aufgegeben. Auf Ersuchen der italienischen Justiz wurde Battisti 2004 in Paris festgenommen. Bekannte Intellektuelle, Politiker und Künstler sprachen sich daraufhin gegen eine Auslieferung Battistis nach Italien aus. Die dortige Justiz hatte ihn 1993 in Abwesenheit wegen vierfachem Mord zu lebenslanger Haft verurteilt. Er kam schließlich unter Auflagen frei, so daß ihm die Flucht nach Brasilien gelang, wo er am 18. März 2007 in Rio de Janeiro wiederum festgenommen wurde.

Der heute 56jährige bestritt stets die Beteiligung an den Verbrechen. »Ich bin schuldig, einer bewaffneten Gruppe angehört und Waffen getragen zu haben. Aber ich habe niemals auf jemanden geschossen.« Erst kürzlich bezeichnete er sich als einen »wahren Kommunisten, aber nicht im Parteisinne«. Den bewaffneten Kampf nannte er »einen Fehler«.

* Aus: junge Welt, 18. Juni 2011


Zurück zur Brasilien-Seite

Zur Italien-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zurück zur Homepage