Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Indio oder Nicht-Indio?

Streit um Paradiesstrand in Ceará im brasilianischen Nordosten

Mehr als 200 Familien der Tremembé-Indianer bangen um ihr Land im Nordosten Brasiliens. Die spanische Investorengruppe Afirma Housing Group will dort einen Tourismuskomplex namens Nova Atlântida an die Küste klotzen mit nicht weniger als 27 Luxushotels und sieben Golfplätzen. Afirma behauptet, das Land rechtmäßig erworben zu haben. Der wahre Aggressor seien die auf dem Gebiet lebenden, landlosen Brasilianer, die sich lediglich als Indianer ausgäben. Norbert Suchanek und die brasilianische Soziologin Márcia Gomes de Oliveira sprachen mit der Sprecherin der Tremembé, Adriana Carneiro de Castro.



ND: Schon im 16. Jahrhundert, als die ersten Portugiesen die Küste von Ceará betraten, trafen sie auf die Tremembé. Nun behauptet der Direktor von Nova Atlântida, Frank Roman, die Tremembé von Sao José und Buriti seien »Pseudoindios«. Wie lautet ihre Geschichte wirklich?

Adriana Carneiro de Castro: Unsere Geschichte ist die, dass wir hier geboren sind und hier unsere Kinder aufwachsen. Wir sind hier mit dem Boden verwurzelt. Ein Baum, der immer hier war.

Wie viele Tremembé leben in dem von Afirma beanspruchten Gebiet heute?

Die FUNASA (staatliche Gesundheitsbehörde) hat 107 Familien registriert, rund 520 Personen. Doch wir sind hier insgesamt 205 Familien in den zwei Indianerdörfern Sao José und Buriti.

Wovon leben Sie in Sao José und Buriti? Betreiben Sie eine Form von traditioneller brasilianischer Landwirtschaft?

Wir leben bis heute von Fischfang, Jagd und Anbau von Maniok. Wir haben einen Fluss, Bäche, Mangroven. Wir haben in den Hügeln fischreiche Lagunen. Wir haben ein »Urwaldgebiet« und einen Murici-Wald, der von großer Wichtigkeit für uns ist. Jeweils im November feiern wir das Murici-Fest.

Seit wann wissen Sie, dass Investoren ihr Land für ein Tourismusprojekt beanspruchen?

Seit 1981. Die Firma hatte angefangen, mit Posseiros (Landbesitzern) in dem Gebiet zu verhandeln.

Wer sind diese Posseiros?

Schon seit vielen Jahren versuchen immer wieder Leute, unser Land zu rauben. Diese Posseiros haben sich einfach ein Stück davon genommen. Unser Territorium ist leider noch nicht demarkiert.

Das heißt, Ihr Stammesgebiet wurde von der brasilianischen Regierung noch nicht offiziell als Indianerreservat anerkannt?

Seit 2006 hat die FUNAI (staatliche Indianerschutzbehörde) eine Arbeitsgruppe zur Anerkennung und physischen Demarkierung unseres Gebietes angekündigt. Aber bis heute wurde sie noch nicht eingesetzt. Die FUNAI hier in Ceará ist auf unserer Seite, aber alles hängt von der FUNAI in Brasilia ab. Es ist sehr wichtig, dass in Brasilia endlich die versprochene Arbeitsgruppe eingesetzt und unser Land demarkiert wird.

Wie sieht die Situation aktuell aus? Hat Afirma bereits mit Bauarbeiten für Nova Atlântida begonnen?

Derzeit wird noch nichts gebaut. Aber wir haben Angst, dass die Firma jeden Moment damit beginnt. Sie hat auch bereits Zäune gezogen und beispielsweise unseren Zugang zu den Mangroven blockiert.

Außer dem psychischen Druck - werden Sie auch physisch bedroht, damit Sie den Weg für das Tourismusmegaprojekt frei machen?

Wir leiden unter den verschiedensten Drohungen. Meine Schwester und ich wurden schon vor dem Bezirksgericht verklagt. Wir wurden denunziert, dass wir gar keine Indios seien und uns unrechtmäßig als Indios ausgäben. Ein anderer Konflikt geschah 2005. Unser Territorium hat einen großen Kokospalmenhain. Kokosnüsse sind wichtiger Teil unserer Ernährung. Doch die Firma wollte die Palmen abholzen lassen und beauftragte die Militärpolizei, uns zu vertreiben und zu verhindern, dass wir uns schützend vor den Wald stellen. Der Konflikt dauerte zwei Monate. Die Polizei schlug auch Frauen und Kinder. Einige von uns kamen ins Gefängnis. Doch die Indianerschutzbehörde von Ceará half uns schließlich und verbot der Militärpolizei den Zutritt zu unserem Land.

Was denken Sie, die Tremembé, über das spanische Unternehmen und das Projekt Nova Atlântida? Was konkret sind Ihre Forderungen?

Wir möchten, dass die Firma von unserem Land weggeht, weit weg und für immer. Die Firma vergiftet unser Land. Wir wollen, dass sie aus unserer Mitte verschwindet, dass sie hier nichts baut, nichts pflanzt und keine Wurzeln fasst.

* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2009


Zurück zur Brasilien-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage