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Der Hilferuf der Waldläufer

Drogenhändler bedrohen Ureinwohner im brasilianischen Amazonasgebiet

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Jetzt sind sie nicht mehr nur im Visier von Holzfällern, sondern auch noch von Drogenhändlern: die isoliert lebenden Ureinwohner aus dem brasilianischen Amanzonasgebiet, deren Bilder vor drei Jahren um die Welt gingen.

Carlos Lisboa Travassos ist alarmiert: Der Leiter der Abteilung »Isolierte und vor kurzem konktaktierte Indigene« der brasilianischen Indianerbehörde Funai befürchtet »einen der härtesten Schläge für unsere Arbeit«.

Am Wochenende war die Lage für den Regierungsfunktionär und seine vier Mitarbeiter besonders kritisch. »Wir sind vollständig von schwer bewaffneten Peruanern umzingelt«, mailte Travassos von einem Funai-Stützpunkt am Xinane-Fluss im westlichen Bundesstaat Acre, 23 Kilometer von der Grenze zu Peru entfernt. Bis zum nächsten brasilianischen Ort ist es zehnmal so weit.

Der Waldläufer José Carlos Meirelles, der sich vor Jahrzehnten der Arbeit für die Indígenas verschrieb und 2008 die Veröffentlichung der Luftaufnahmen veranlasst hatte, informierte den Blogger Altino Machado in Acres Hauptstadt Rio Branco: »Unsere Zeit vor dem Computer ist knapp – es ist nicht einfach, ein Auge auf den Monitor und das andere auf die Peruaner zu halten. Sie sind noch hier, mehr als eine Gruppe von jeweils fünf, sechs Leuten. Sie beobachten uns und wir sie«.

Von den unkontaktiert lebenden Indigenen fehle hingegen jede Spur. »Wir bleiben hier, koste es, was es wolle, bis der brasilianische Staat ein für allemal beschließt, diese absurde Situation zu lösen«, schrieb der 63-Jährige, »nicht zu unserem Schutz, sondern zu dem der Indianer!« Wenig später fand er einen Koffer mit Munition und einem abgebrochenen Pfeil der Ureinwohner. »Diese Typen jagen die isolierten Indianer, jetzt haben wir einen klaren Beweis«, mailte Carlos Travassos.

»Wir sind besorgt darüber, dass den Indianern etwas zugestoßen sein könnte«, erklärte Gouverneur Tião Viana am Sonntag. Er befürchtet, die Peruaner könnten auf das Töten von Ureinwohnern spezialisierte »Söldner« im Dienst von Holzfällern und Drogenhändlern sein. »Diese Vorstellung erschreckt uns«, sagte Viana, der am selben Tag sechs Polizisten ins Grenzgebiet schickte.

Die Mittel des abgelegenen Bundesstaates sind bescheiden, Grenzregionen sind ebenso wie Indianerschutzgebiete oder der Drogenhandel Bundessache und werden im fernen Brasília entschieden. Deshalb forderte der Gouverneur einen Einsatz von Armee und Bundespolizei und Gespräche mit der peruanischen Regierung. »Diese Völker sind ein Erbe der Menschheit, ein Symbol einer anderen Zeit und einer anderen Geschichte, die wir nicht kennen«, sagt Tião Viana.

Den bewaffneten Peruanern, die der Journalist Machado mit einigem Recht als »Paramilitärs« bezeichnet, waren die Funai-Leute zum ersten Mal am 23. Juli begegnet. Daraufhin verließen die Indianerschützer den Stützpunkt und baten um Hilfe der Bundespolizei. Knapp zwei Wochen später, am letzten Freitag (5. Aug.), flogen sie mit einem Armeehubschrauber zurück.

Für Gouverneur Viana steht fest, dass Indígenas vor Urwaldzerstörung und Drogenproduktion im peruanischen Amazonasgebiet nach Brasilien fliehen. Zudem nutzten Kokainschmuggler die Flüsse als Transportweg für den Drogenhandel nach Brasilien. Dennoch ist das mediale Echo in Brasilien bisher bescheiden – wie schon 2008, als sie erst auf die internationale Berichterstttung reagierten.

Immerhin überflogen am Dienstag mehrere hohe Regierungsbeamte aus Brasília die Region und versprachen baldige Militärpräsenz. Für Funai-Chef Márcio Meira hat sich die Lage beruhigt: »Alles deutet darauf hin, dass es den Indianern gut geht. Ihre Häuser und das Umfeld sind nicht überwuchert, es gibt Anpflanzungen in gutem Zustand. Wenn sie nicht aufgetaucht sind, dann wahrscheinlich, weil sie Angst vor Flugzeugen und Hubschraubern haben.«

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2011


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