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"Eure Art zu leben, bedroht uns"

Der Indianer Davi Kopenawa Yanomami fordert die Respektierung indigener Rechte

Davi Kopenawa Yanomami, Schamane und Sprecher der im Amazonasgebiet lebenden Yanomami Indianer in Brasilien, wurde jüngst zu einem Gespräch im Bundeskanzleramt empfangen. Er übergab dort einen an die Bundeskanzlerin adressierten Brief, in dem er die deutsche Bundesregierung auffordert, sich für den Schutz seines Volkes einzusetzen. Mit dem Träger des Global 500 Awards, einem Umweltpreis der Vereinten Nationen, sprach für das Neue Deutschland (ND) Benjamin Beutler.



ND: Das Volk der Yanomami lebt in den Amazonaswäldern Brasiliens und Venezuelas, auf einem Gebiet so groß wie die Schweiz. Das Land steht unter verfassungsrechtlichem Schutz, das ihnen Landrechte und die Ausübung ihrer Lebensweise garantiert. Wovon sehen sich ihre rund 20 000 Landsleute heute bedroht?

Davi Kopenawa Yanomami: In unserem Gebiet finden sich begehrte Rohstoffe wie Gold, Zinn und Uran. Sie wurden in den siebziger Jahren während Vermessungsarbeiten für eine Bundes-straße durch Yanomami-Land entdeckt. Danach kamen Goldsucher, die unbekannte Krankheiten wie Grippe, Malaria und Masern mitbrachten. Unsere Schamanen können die Krankheiten des weißen Mannes nicht heilen, auch keine Schusswunden. Denn die Goldsucher griffen unsere Dörfer an, unsere Frauen. Sie vergifteten mit dem bei der Goldwäsche benutzten Quecksilber unsere Flüsse. Ende der Neunziger wurde unser Land unter Schutz gestellt, auch Deutschland hat viel Geld dafür gegeben. Nun allerdings soll eine Gesetzesnovelle des brasilianischen Parlaments den Abbau von Rohstoffen in unserem Land wieder ermöglichen. Zusammen mit der britischen Nichtregierungsorganisation (NRO) »Survival International« versuche ich als Sprecher meines Volkes auf diese erneute Bedrohung aufmerksam zu machen. Nachdem ich mein Anliegen in London vorgetragen habe, bin ich jetzt nach Berlin gekommen.

Sie sind nach Deutschland gereist, um die Bundesregierung zur Unterzeichnung der ILO 169-Konvention zu bewegen. Was macht dieses Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) so wichtig für die Yanomami?

Für mein Volk ist das Abkommen sehr wichtig. Wenn die europäischen Staaten ILO 169 unterzeichnen, so müssen sich auch europäische Firmen an dieses Gesetz halten. Europäische Bergbauunternehmen wollen in Brasilien arbeiten, und das vor allem in Stammesgebieten indigener Völker. So müssten sie die Rechte all dieser Völker respektieren. Im Gegensatz zur jüngst verabschiedeten UNO-Erklärung der Rechte indigener Völker ist ILO 169 rechtlich tatsächlich bindend und einklagbar. Gerade darum wollen viele Regierungen die Konvention auch nicht ratifizieren.

Können Sie kurz andeuten, wie ihr Volk lebt?

Unser Leben ist ein anderes. Die Yanomami und anderen indigenen Völker Brasiliens leben ein ruhiges Leben. Wir pflanzen Bananen, Maniok, Zuckerrohr und andere Pflanzen an. Wir jagen und fischen, sammeln Früchte und Pilze. Wir versuchen den Regenwald zu bewahren, zu schützen. Unsere Siedlungen sind klein, wir nutzen nur wenig Platz. Auch brennen wir den Wald nicht einfach ab, wir fällen die Bäume, schneiden das Unterholz und pflanzen dort unsere Gärten. Aus dem Holz bauen wir Häuser und nehmen es als Brennholz, womit unsere Frauen das Essen zubereiten. Gebrauchtes Land lassen wir ruhen, damit es sich erholen kann. Wir leben nach unseren alten Kenntnissen und Weisheiten, die von den Alten an die Kinder weitergegeben werden. Wir sprechen unsere Sprache, das Yanomami. Die Schamanen sind unsere Führer, ihnen vertrauen wir.

Doch sind wir bedroht durch eure Art zu leben. Ihr zerstört uns und unsere Lebensgrundlage, den Regenwald. Ihr macht uns fertig. Eure Fabriken machen die Erde kaputt und fabrizieren Müll. Wenn ein Flugzeug oder eine Waschmaschine nicht mehr funktioniert, dann schmeißt ihr es einfach weg, auf den immer größer werdenden Abfallhaufen. Denn euer Ziel ist es immer mehr herzustellen.

Denken die Yanomami von den »Weißen« also, sie seien dumm?

Eigentlich machen wir uns nicht viel Gedanken um andere. Aber nein, ich und die Yanomami finden die Weißen sehr intelligent. Intelligent im Zerstören. Intelligent im Verschmutzen. Intelligent im Abholzen. In Zukunft wird etwas passieren, etwas zerbrechen. Wenn die Welt der Weißen so weitermacht, dann wird sie untergehen.

Was versprechen sich die Yanomami von einer Zusammenarbeit mit den »Weißen«?

Eigentlich nicht viel. Der Wandel muss im Denken der Menschen stattfinden, die in den großen Städten leben. Wir, die indigenen Völker, können ihnen lediglich als Vorbild dienen. Uns muss man sich öffnen und zuhören. Wir haben mit den NRO, die uns helfen, zwar einige Verbündete gefunden. Doch Veränderung muss in jedem Einzelnen passieren. Die, die das große Geld in ihren Händen halten, wollen so etwas natürlich nicht.

Was passiert, wenn demnächst wieder Angestellte von Bergbaugesellschaften in ihr Land eindringen?

Dann wird es Tote geben. Bei uns und bei den Weißen. Denn sie kommen bewaffnet, und wir werden uns wehren. Die Bergbaugesellschaften haben internationale Unterstützung, zum Beispiel von den USA. Sie werden wieder in indigene Gebiete vordringen, um das dort vorhandene Uran für ihre Bomben zu bekommen. Es gibt natürlich Protest-Kampagnen dagegen, jedoch gehen die Yanomami nicht in die Städte.

Unser friedlicher Widerstand kommt nicht an. Die indigenen Völker sind die Beschützer der Erde, doch sie sind dabei zu sterben. Unsere Schamanen tragen die Erde, fallen sie, so wird eine riesige Welle die ganze Menschheit hinwegspülen.

ILO-Konvention 169

Die Konvention zu indigenen und in Stämmen lebenden Völkern C 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist die bislang einzige internationale Norm, die den Ureinwohnervölkern rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten garantiert. Die Konvention wurde am 27. Juni 1989 verabschiedet und trat am 5. 9 1991 in Kraft.

Die Konvention spricht den indigenen Völkern die Kontrolle über ihre Einrichtungen, Lebensweise und wirtschaftliche Entwicklung zu und das Recht, Identität, Sprache und Religion zu bewahren. ILO 169 hebt den »besonderen Beitrag der eingeborenen und in Stämmen lebenden Völker zur kulturellen Vielfalt, sozialen und ökonomischen Harmonie der Menschheit« hervor. Wichtigster Punkt ist die Anerkennung von Landrechten und Miteinbeziehung indigener Völker in Entscheidungen. Regierungen können bei Verstoß sanktioniert werden.

Fast alle südamerikanischen Staaten haben ILO 169 ratifiziert, in Europa Spanien, Norwegen, Dänemark und Niederlande. Die Bundesregierung lehnt eine Unterzeichnung ab.



* Aus Neues Deutschland, 6. November 2007


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