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Herbizidskandal in Amazonien

Das Entlaubungsgift 2,4 D ist zwar nicht "Agent Orange", aber doch gefährlich

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Illegale Rodungen, auch mit Hilfe von Entlaubungsmitteln, sind in Brasilien nach wie vor an der Tagesordnung. Mit der großflächigen Verseuchung Vietnams mit dem Herbizid »Agent Orange« durch die USA ist diese Praxis aber nicht zu vergleichen.

Vergangenen Juni im brasilianischen Bundesstaat Amazonas: Kontrolleure der staatlichen Umweltbehörde IBAMA entdeckten im Regenwald unweit vom Rio Acari Dutzende von mit einer Plane abgedeckten Kanistern mit insgesamt vier Tonnen der Herbizide »2,4 D Amina 72«, »U 46 BR« und »Garlon 480«. Die Kontrolleure beanstandeten die mangelhafte Lagerung der giftigen Pestizide. Sie vermuteten zudem, die Gifte sollten per Flugzeug zur illegalen Rodung von Regenwaldflächen versprüht werden. Der Verantwortliche, ein Rinderzüchter aus dem Nachbarstaat Rondônia, werde wegen Verstoßes gegen das Umweltgesetz angezeigt.

Dieser in Brasilien ziemlich alltägliche Vorfall wurde nun weltweit Schlagzeile, weil irgendjemand in der »Informationskette« zwischen Brasilien und Europa das Skandalwort »Agent Orange« ins Spiel brachte. Während des Vietnamkriegs ließ die US-Regierung 72 Millionen Liter dieses »Entlaubungsmittels« über Äcker und Wälder versprühen. Sie löste damit eine bis heute anhaltende ökologische und menschliche Katastrophe in Vietnam aus. Denn in dem US-amerikanischen Giftcocktail befand sich neben 2,4-D (Dichlorphenoxyessigsäure) auch der Wirkstoff 2,4,5-T (Trichlorphenoxyessigsäure), der stark mit dem Krebs erregenden und Erbgut schädigenden Supergift TCDD verunreinigt ist, besser bekannt als Dioxin.

Die in Amazonien beschlagnahmten Herbizide sind zwar auch giftig, doch kein »Agent Orange«. Der Wirkstoff 2,4-D wird seit Jahrzehnten nicht nur in Brasilien in Massen eingesetzt. Auch in Deutschland sind bis heute über siebzig 2,4-D-Herbizide zugelassen, um »Unkräuter« im Rasen oder im Getreidefeld zu vernichten. Großgrundbesitzer wie Kleinbauern in Brasilien – so wie in Argentinien, Paraguay, Uruguay und Bolivien – setzen die 2,4-D-Gifte in erster Linie auf Rinderweiden sowie beim Anbau von Reis, Weizen, Mais, Zuckerrohr, Kaffee und zusammen mit Glyphosat auch vermehrt auf den Gen-Sojaplantagen ein.

Agrarkonzerne, Landwirte und Kleingärtner versprühen ganz legal weltweit jährlich weit über 100 000 Tonnen dieser Herbizide, so die Zahlen der Pestizid-Produzenten Atanor, Dow AgroSciences, Milenia und Nufarm. Im Jahr 2007 verbrauchten allein die USA 30 000 Tonnen und Brasilien 13 000 Tonnen 2,4-D-Gifte.

Das von Toxikologen wie dem Brasilianer Luiz Claudio Meirelles und Umweltschützern kritisierte Problem von 2,4-D ist, dass auch bei seiner Herstellung Dioxine als Nebenprodukt anfallen und die Herbizide damit verunreinigt sein können. Die »Pflanzenschutzindustrie« garantiert zwar eine Dioxin-Freiheit ihrer Produkte, doch in Lateinamerika sind große Mengen von Herbiziden mit zweifelhafter Herkunft unterwegs. Eine der Drehscheiben des illegalen Pestizidhandels ist Paraguay.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juli 2011


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