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Dominoeffekt des Ethanolbooms

Gipfel in Brasilien beriet Für und Wider der erneuerbaren Treibstoffquelle

Von Andreas Knobloch, São Paulo*

Ethanol gilt als Brasiliens Zukunft. Selbst Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wird euphorisch, wenn die Rede auf den erneuerbaren Energieträger kommt. Doch die Folgen sind weit weniger rosig, als es Regierung und Zuckerrohrindustrie malen.

Der Agrospritboom in Brasilien hält an. Die Stimmung auf dem zweiten »Ethanol-Gipfel«, der von Montag bis Mittwoch in São Paulo stattfand, konnte daher kaum besser sein. Rund 130 Wissenschaftler, Unternehmer und Regierungsvertreter waren in der Wirtschaftsmetropole zusammengekommen, um über die Zukunft des Kraftstoffes als Alternative zum Erdöl, über neue Technologien und den Konflikt mit der Lebensmittelproduktion zu diskutieren.

Per Videobotschaft lobte Präsident Lula einmal mehr Ethanol als erneuerbare und »saubere« Energiequelle, die helfe, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Er wie auch die von ihm unterstützte Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, Dilma Rousseff, wiesen die Kritik zurück, die Ethanolproduktion sei für die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und den Anstieg der Lebensmittelpreise mitverantwortlich. Von den 400 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in Brasilien werde gerade einmal ein Prozent für Zuckerrohranbau verwendet, so Lula. Und Rousseff führte »das Versagen internationaler Organisationen« als Grund für den Preisanstieg landwirtschaftlicher Produkte an. Hingegen seien die Biokraftstoffe dafür »verantwortlich«, dass 46 Prozent des brasilianischen Energiesektors aus erneuerbaren Quellen stammten, gegenüber 12 Prozent im weltweiten Durchschnitt.

Wissenschaftler wie der Geograf Ariovaldo Umbelino, Professor an der Universität São Paulo, widersprachen allerdings den Thesen der Regierung. Es gebe einen Dominoeffekt. Die Ausweitung der Zuckerrohrproduktion habe die Verdrängung von Soja- und Maisanbau auf heute noch ungenutzte Flächen und deren Abholzung zur Folge. Zudem gehe sie zu Lasten anderer Nahrungsmittel wie Bohnen und Reis. Auch sei die Ethanolgewinnung keineswegs so »grün«, wie von der Regierung propagiert. Die Technik, nur die Blätter zu verbrennen, ohne das Rohr zu zerstören, erleichtere zwar die Ernte per Hand und erhöhe den Zuckergehalt des Rohrs, setze aber zugleich enorme Mengen von Treibhausgasen und anderen Umweltgiften frei.

Dieses Problem bedürfe einer Lösung, betonte auch der frühere US-Präsident Bill Clinton. Brasilien habe zwar seinen CO2-Ausstoß im Transport und bei der Energieproduktion durch Wasserkraftwerke stark gesenkt, sei aber immer noch achtgrößter Emittent weltweit – nur knapp hinter China und Indien. Auch sei die Akzeptanz brasilianischen Ethanols im Ausland nicht größer, da viele Staaten befürchteten, eine Produktionssteigerung gehe zu Lasten des Regenwaldes.

Brasilien ist heute der weltweit zweitgrößte Ethanolhersteller. 2008 stieg die Produktion hier um 15,6 Prozent auf den Rekordwert von 26,6 Milliarden Liter. Während Spitzenreiter USA den Treibstoff vor allem auf Basis von Mais herstellt, gewinnt ihn Brasilien aus Zuckerrohr, was als die effizientere Methode gilt. Ab 2012 soll hier Ethanol auch aus Zellulose etwa aus Pflanzenabfällen gewonnen werden können, um die Verwendung von Lebensmitteln zur Treibstoffherstellung zu senken.

Mit der Ethanolgewinnung sind auch soziale Probleme verbunden. Die Arbeitsbedingungen in der Zuckerrohrindustrie sind miserabel, Verstöße gegen das Arbeitsrecht an der Tagesordnung. Zudem führt die Ausweitung der Anbauflächen zu einem Anstieg der Bodenpreise, während die versprochene Agrarreform weiter auf sich warten lässt.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juni 2009


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