Bohnen und Reis statt Biosprit
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *
Auf dem Biomarkt in Porto Alegre scheint die Welt noch in Ordnung. Jeden
Samstag ist das Gedränge zwischen den farbenfrohen Obst-, Gemüse-,
Getränke- und Bücherständen am Rand des Farroupilha-Stadtparks groß.
Biobauern aus dem näheren und weiteren Umkreis der südbrasilianischen
Metropole bieten hier ihre frischen Waren feil. Lauro Bernar packt
Kopfsalat und anderes Grünzeug in die Einkaufstaschen seiner Stammkunden.
«Die letzten Monate waren schwierig«, berichtet der 59-jährige
Kleinbauer, der 16 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt zwei gepachtete
Hektar Land bestellt. »Ich muss immer mehr für Gülle und Benzin
ausgeben, und im Winter hat es viel zu viel geregnet.« Immerhin, da er
keinen Kunstdünger oder Pestizide verwendet, hält sich seine
Kostensteigerung in Grenzen. »Das ist das große Plus der Biobauern«,
bestätigt Miguel Stedile von der Leitung der Landlosenbewegung MST im
Bundesstaat Rio Grande do Sul. »Und weil sie für die lokalen Märkte
produzieren, sind sie kaum anfällig für die Preisschwankungen auf dem
Weltmarkt«, sagt Stedile.
Vor allem in Südbrasilien sind die meisten MST-Mitglieder inzwischen aus
Überzeugung Biobauern geworden, etwa in der Siedlung Lagoa do Junco gut
100 Kilometer südlich von Porto Alegre. Hinter dem Dorf erstrecken sich
fast 200 Hektar saftig grüne Reisfelder. Statt Pestiziden, Kunstdünger
und kommerziellem Saatgut verwenden die Genossenschafter Naturdünger aus
Kuhmist, Asche, Milch- und Kürbisresten. Die Ausgaben seien im Vergleich
zum herkömmlichen Anbau minimal, berichtet Genossenschaftler Tarcísio
Stein. Mittlerweile ist der Zyklus von der Aussaat bis zum Verkauf an
die Endverbraucher komplett. Am Rand der Siedlung stehen ein Silo und
eine Minifabrik mit einer Verpackungsanlage für Ein-Kilo-Tüten, die auch
auf dem Biomarkt der Landeshauptstadt für umgerechnet 60 Cent verkauft
werden.
Mit Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verbindet die MSTler, für die
die Bezeichnung »Landlose« ein Kompliment ist, kritische Sympathie. Im
Wahlkampf haben sie den ehemaligen Gewerkschafter stets unterstützt,
doch seine konservative Wirtschaftspolitik lehnen sie ab. »Lula hat sich
zum Werbeträger für das Ethanol machen lassen«, bemängelt Stedile. Bei
jeder Gelegenheit schwärmt der Staatschef von Ethanol oder Biosprit als
Wunderwaffen gegen Armut und den Klimawandel. Wenn die Agrotreibstoffe
den wirtschaftlichen Realitäten jedes Landes gemäß entwickelt würden,
dann könnten sie »ein wichtiges Instrument sein, um Einkommen, Nahrungs-
und Energiesicherheit zu schaffen«, ist Lula überzeugt.
Da in Brasilien kleinbäuerliche Familienbetriebe immer noch zwei Drittel
der Lebensmittel herstellen, wurde das Land von der weltweiten
Nahrungsmittelkrise weniger getroffen als die meisten Nachbarn. Der vor
allem in der ersten Jahreshälfte spürbare Preisanstieg der Lebensmittel
habe viel mit den »Gewinnen aus den international gehandelten
Agrarprodukten« wie Ethanol zu tun, meint José Batista de Oliveira von
der MST in São Paulo. Entsprechend hätten die Bauern drei Möglichkeiten:
»Sie erhöhen die Preise für ihre eigenen Produkte, sie stellen auf
lukrativere Produkte um oder sie verschwinden vom Markt.«
Zudem fördert die Regierung Lula zum großen Missfallen der
Landlosenbewegung die lukrativen Eukalyptus- , Soja- und
Zuckerrohrmonokulturen nach Kräften: »Unser Land wird von den
Zellstoffmultis bedroht«, weiß Terezinha Schäfer aus Lagoa do Junco. »Es
ist nicht gut für die Zukunft unserer Kinder, wenn die grünen
Eukalyptus-Wüsten unsere Böden zerstören und das Wasser verseuchen.«
Immerhin mussten im Bundesstaat Rio Grande do Sul die zwei
Zellstoffmultis Aracruz und Votorantim, die sich auf den Devisenmärkten
verspekuliert haben, ihre geplanten Investitionen spürbar zurückfahren.
Die »Grünen Wüsten«, die wegen ihres enormen Wasserverbrauchs viele
Brunnen von Kleinbauern austrocknen lassen, werden sich zumindest
vorerst nicht weiter ausdehnen und den Reisanbau zurückdrängen. 61
Prozent des brasilianischen Reises stammt aus dem an Uruguay und
Argentinien angrenzenden Bundesstaat. Und die Reisbauern, private ebenso
wie MST-Kooperativisten, freuen sich: Durch den steigenden Dollarkurs
verteuern sich Reisimporte, wobei die Nachfrage auf dem großen
Binnenmarkt garantiert bleibt.
Auch die Biosprit-Rohstoffe Soja und Zuckerrohr sind eine Bedrohung –
vor allem für die ökologisch wertvolle Cerrado-Savanne im Mittelwesten
und im Nordosten Brasiliens. Von dort wird die Viehzucht nach Amazonien
verdrängt.
Dank des Ethanolbooms ist das Hinterland des Bundesstaats São Paulo mehr
denn je die Hochburg des Zuckerrohrs. Padre Antonio Garcia von der
Migrantenseelsorge, der in der Kleinstadt Guariba Wanderarbeiter aus dem
armen Nordosten betreut, hat die Veränderungen der letzten 20 Jahre
hautnah miterlebt. »Das Zuckerrohr ist in die Region der Früchte
eingefallen«, sagt Garcia, »man findet nur noch wenige Orangen, Guaven,
Zwiebeln oder Kartoffeln.« Mittlerweile wächst Zuckerrohr landesweit auf
gut 70 000 Quadratkilometern – doppelt so viel wie 1990 und mehr als ein
Zehntel der landwirtschaftlichen Anbaufläche. »Wenn das so weiter geht,
wird Brasilien eines Tages sogar die Grundnahrungsmittel Bohnen, Reis
und Maniok importieren müssen«, fürchtet Garcia.
Auch die Finanzkrise hat bereits deutliche Auswirkungen auf die gesamte
Landwirtschaft. Weil die Kredite so knapp und teuer sind wie schon lange
nicht mehr, wird damit gerechnet, dass 2009 die Gesamtproduktion erstmal
seit drei Jahren wieder zurückgeht. Die Getreideernte werde mindestens
7,2 Millionen Tonnen oder fünf Prozent geringer ausfallen als in diesem
Jahr, sagt José Mario Schreiner vom Bauernverband CNA voraus. Wegen des
geringeren Einsatzes von Kunstdünger und Pestiziden werde die
Produktivität sinken. Derzeit werde 25 Prozent weniger Dünger verkauft
als im Oktober 2007, klagt Verbandschef Eduardo Daher.
Die Regierung will das Problem mit günstigen Darlehen von umgerechnet
fünf Milliarden Euro lindern. Nötig wäre aber dreimal soviel Geld,
rechnen Bauernfunktionäre vor. Zudem dauert es oft Wochen, manchmal
Monate, bis staatliche oder private Banken die versprochenen Kredite
tatsächlich freigeben. Erst vor kurzem demonstrierten MST-Aktivisten in
neun Bundesstaaten für eine Ausweitung der Darlehen für die Familiebetriebe.
Der Umbruch erfüllt manchen Kritiker des Agrobusiness mit Zuversicht.
Denn so wie sich dem Biolandbau neue Chancen eröffnen könnten,
profitieren nun vor allem jene Bauern, die für den internen Markt
produzieren. Entgegen dem Trend der letzten Jahre wächst die Anbaufläche
für Bohnen wieder. Im Vergleich zu Zuckerrohr, Soja, Mais, Weizen oder
Baumwolle, mit denen auf den internationalen Getreidebörsen spekuliert
wird, wird der Bohnenanbau auch für Großbauern, die mit modersten
Bewässerungstechniken arbeiten, immer attraktiver. Im südlichen
Bundesstaat Paraná, dem Marktführer bei Bohnen, wurde ein Fünftel mehr
ausgesät als im Vorjahr. Dort erzielte die MST kürzlich einen besonderen
Erfolg: Der Schweizer Multi Syngenta räumte nach einem
zweieinhalbjährigem Konflikt ein Areal, das er als Versuchsgut für
gentechnische Produkte missbraucht hatte.
Zwar ist Brasilien diesmal weitaus besser gegen die Finanzkrise
gewappnet als in den 90er Jahren, doch die Turbulenzen an der Börse
nehmen zu und die befürchtete weltweite Rezession wirft ihre Schatten
voraus. »Eigentlich wäre es eine Chance, sich auf die eigenen Kräfte zu
besinnen, die Macht der Agromultis oder des Finanzkapitals zu
beschneiden und die Familienbetriebe zu stärken«, sagt Miguel Stedile,
der seine Hoffnungen auf eine Agrarreform unter Lula längst begraben
hat. »Doch obwohl das Agrobusiness alles andere als sozial oder
ökologisch ist, wird es weiterhin von der Regierung gehätschelt.«
* Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2008
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