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Veto vor Rio-Gipfel

Nur ein Aufschub aus Imagegründen? Brasiliens Präsidentin stoppt Teile des neuen Waldgesetzes. Umweltschützer hoffen auf positives Senatsvotum

Von Andreas Knobloch *

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat vergangene Woche gegen Teile des neuen Waldgesetzes (Código Forestal) ihr Veto eingelegt. Damit sollen Amnestieregelungen für illegale Abholzungen und eine Zunahme der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes und des Cerrado verhindert werden. Umweltschutzaktivisten begrüßten die Entscheidung.

Rousseff blockierte zwölf Punkte des vom Kongreß verabschiedeten Gesetzes und nahm zudem 32 Änderungen vor. Damit will die Staatschefin vor allem kleinen und mittleren Bauern entgegenkommen, die Probleme hätten, die fälligen Strafen für Rodungen zu bezahlen bzw. Teile ihrer (oft kleinen) Anbauflächen wieder aufforsten müßten. Zudem wurde befürchtet, daß im Fall eines generellen Vetos die Agrarlobby ein noch weniger restriktives Gesetz präsentiert hätte. Ende April hatte das brasilianische Abgeordnetenhaus, in dem die Parteigänger des Agrobusineß eine Mehrheit haben, die bereits im Dezember 2011 im Senat beschlossene Gesetzesnovelle weiter aufgeweicht. Unter anderem wären demnach rechtswidrige Rodungen vor dem Jahr 2008 straffrei gestellt worden. Auch der gesetzliche Zwang zur Wiederaufforstung entlang von Flußufern hätte wegfallen sollen. Gegen diese Regelungen hat Rousseff jetzt von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht. Doch ist die Präsidentin nun auf die Unterstützung des Senats angewiesen, denn ihr Einspruch kann mit einer einfachen Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses überstimmt werden – was als nicht unwahrscheinlich gilt.

Umweltschutzorganisationen hatten in den zurückliegenden Wochen erheblichen Druck ausgeübt. So überreichte die Nichtregierungsorganisation Avaaz der Regierung in Brasilia eine Liste mit zwei Millionen Unterschriften, um die Präsidentin zu einem generellen Veto zu bewegen. Erst Mitte Mai hatte Greenpeace mit einer spektakulären Aktion gegen die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes protestiert. Aktivisten der Umweltschutzorganisation waren in der Bucht von São Marcos unweit der Stadt São Luís auf die Ankerkette des unter der Flagge der Bahamas fahrenden riesigen Frachters »Clipper Hope« geklettert und hatten das Schiff mehr als 48 Stunden lang am Einlaufen in den Hafen von Itaqui gehindert. Dort sollte das Frachtschiff Eisen laden, um es in die USA zu transportieren. Laut Greenpeace gehört das Schiff Viena Siderúrgica do Maranhão (Viena), einem der ältesten und größten Roheisenhersteller im nordbrasilianischen Bundesstaat Maranhão. Die Umweltschutzorganisation benennt die eisenverarbeitende Industrie der Region als einen der Hauptverantwortlichen für die Zerstörung des Regenwaldes.

Mitverantwortlich werden auch globale Automobilkonzerne wie Ford, General Motors oder BMW gemacht. Zu diesem Ergebnis kam eine Anfang Mai von Greenpeace veröffentlichte Studie. Danach gefährden nicht nur Ackerbau und Viehzucht den Waldbestand, sondern auch die Gewinnung von Holzkohle für die Produktion von Roheisen. Der daraus hergestellte Stahl wird u.a. an Autobauer geliefert.

Der 32seitige Greenpeace-Bericht, für den zwei Jahre lang Informationen gesammelt und ausgewertet wurden, zeichnet die Produktionskette und ihre Auswirkungen auf Umwelt und Sozialbeziehungen nach. Eines der am stärksten von Abholzungen betroffenen Gebiete ist die Carajás-Region, zu der Teile der Bundesstaaten Pará und Maranhão gehören. Hier betreibt der brasilianische Bergbaukonzern Vale die größte Eisenerzmine der Welt. Seit den späten achtziger Jahren haben sich in der Gegend mehr als 40 Hüttenwerke angesiedelt, in denen das Eisenerz zu Roheisen verarbeitet wird. Dafür wird Holzkohle benutzt, die zum Großteil in kleinen abgelegenen Camps hergestellt wird. In diesen oft gesetzwidrigen Köhlereien arbeiten in der Regel Einwanderer aus den ärmsten Regionen Brasiliens unter extrem gesundheitsschädlichen und zum Teil sklavereiähnlichen Bedingungen. Diese Menschen werden in ihren häufig weit entfernt gelegenen Heimatorten angeworben und später nicht selten in eine Art Schuldknechtschaft gezwungen. Nach Angaben der kirchennahen Nichtregierungsorganisation Pastoralkommission für Boden (CPT) wurden zwischen 2003 und 2011 mehr als 2700 Menschen aus solchen sklavereiähnlichen Verhältnissen befreit.

Das Holz der Köhlereien stammt nicht selten aus illegalem Einschlag. Die Holzfäller dringen dabei bis tief in den Regenwald vor und bedrohen so nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch das Überleben indigener Völker. Greenpeace verdeutlicht dies am Beispiel des 350 bis 400 Köpfe zählenden Stammes der Awa-Guaja, dessen Mitglieder völlig isoliert als Jäger und Sammler im Grenzgebiet von Pará und Maranhão leben. Vor 40 Jahren wurden sie erstmals kontaktiert. Heute ist ihr Überleben in großer Gefahr, Holzfäller haben bereits knapp ein Drittel ihres Landes zerstört.

Mehr als vier Fünftel des in der Region hergestellten Roheisens wird in die USA exportiert, wo es zu Stahl weiterverarbeitet wird. Neben Viena beliefert auch Siderúrgica do Pará (Sidepar) US-amerikanische Stahlkocher, u.a. Severestal in Columbus, Mississippi, zu dessen Kunden wiederum Autohersteller wie Ford, General Motors, Mercedes, BMW und Nissan gehören. Das im US-Bundesstaat Illinois ansässige Unternehmen National Metal Trading, das ebenfalls Roheisen von Viena bezieht, beliefert den Landmaschinenhersteller John Deere und ThyssenKrupp.

»Während die Regierung Dilma (Rousseff) mit Blick auf den UN-Nachhaltigkeitsgipfel Rio plus 20 (»Rio+20«) das Image eines grünen und modernen Landes verkauft, wird diese Region (Carajás) in Kohle verwandelt, um die Roheisen- und Stahlindustrie zu ernähren«, faßt Paulo Adário von Greenpeace Brasilien die Lage zusammen. Das Veto gegen das Waldgesetz war nicht zuletzt wegen des Gipfels, der vom 20. bis 22. Juni in Rio de Janeiro stattfindet, erwartet worden.

* Aus: junge Welt, Dienstag 5. Juni 2012


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