Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gleichberechtigt in der Kalahari

Wie Botswana die jahrhundertealte Diskriminierung der San-Urbevölkerung zu überwinden versucht

Von Roswitha Reich

Die ersten holländischen Siedler am Kap nannten sie Bosjesman (Leute, die hinter den zusammengeflochtenen Zweigen wohnen), jagten sie wie Tiere und versklavten ihre Kinder. Die Engländer führten sie 1847 auf einer Londoner Ausstellung als das entwicklungsgeschichtlich noch »vermißte Glied« zwischen Tier und Mensch vor. Erst vor einigen Monaten wurde der letzte in einem europäischen Museum ausgestopft vorgezeigte Buschmann nach Botswana überführt und dort beerdigt. Um das zu bewerkstelligen, mußte sogar die UNO bei der spanischen Regierung vorstellig werden. Das Museum der Stadt Banyoles in Katalonien wollte »seinen Krieger«, die touristische Attraktion, nicht herausgeben. Die südafrikanische Urbevölkerung Khoisan, die in der Wüste Kalahari San und an den Ozeanküsten Südafrikas Khoi genannt wird, ist seit über 30000 Jahren nachweisbar. Sie war leichte Beute für Sklavenhändler, und ab 1652, als der Holländer Jan van Riebeeck am Kap landete, wurde sie fast ausgerottet. Die Zahlen schwanken, aber heute leben im gesamten südafrikanischen Raum - in Botswana, Angola, Namibia, Simbabwe und Südafrika - nur noch ungefähr 100000 dieser Menschen, vornehmlich San. Die Wüste Kalahari, die zwei Drittel des Territoriums von Botswana bedeckt und bis in den Norden Südafrikas hineinreicht, ist ihr hauptsächliches Lebensgebiet. Als nomadisierende Jäger und Sammler brauchen sie die unbewohnte Weite, die heute immer kleiner wird. Südafrika hat die Wüste zum Gemsbock- Nationalpark erklärt, Botswana hat in der Wüste Diamanten und andere Bodenschätze gefunden, und im schmalen Caprivi- Streifen zwischen Botswana, Namibia und Simbabwe, einem weiteren Rückzugsgebiet der San, fanden sie angesichts der Vorliebe der Apartheidmilitärs und afrikanischen Kämpfer für diese strategische Landzunge schon gar keinen Frieden.

Mißbraucht als Fährtenleser

Im Kampf gegen die SWAPO-Befreiungsorganisation und die Guerillas des ANC nutzten die südafrikanischen Militärs die Fähigkeiten der San als Spurensucher und Fährtenleser. Im damaligen Camp Omega, nicht weit von der botswanischen Stadt Ghanzi, im namibischen Caprivi-Streifen, bildeten sie etwa 700 von ihnen für den Einsatz gegen die Freiheitskämpfer aus. Schon in Angola mußten San ob ihrer Kenntnisse der Natur als Söldner der Portugiesen gegen die Befreiungsbewegung dienen. Derzeit versucht die UNITA von Jonas Savimbi, sie gegen die angolanische Armee zu gewinnen. Namibia, das die Regierung in Luanda unterstützt, versucht sie deshalb aus dem Caprivi-Streifen umzusiedeln. Die neue südafrikanische Regierung hat den San in ihrem Teil der Wüste Kalahari das unter der Apartheid geraubte Land, insgesamt 50000 Hektar, meist im Gemsbock- Nationalpark an der Grenze zu Botswana gelegen, im vergangenen Jahr zurückgegeben. Die San können sich dort wieder ansiedeln. Um einen Anteil an den Einnahmen aus dem Touristengeschäft im Park zu bekommen, wollen sie eigene Gästezimmer betreiben, Kunsthandwerk und traditionelle Heilpflanzen feilbieten. Für die San, die in der Apartheidarmee gedient hatten, meint die südafrikanische Regierung keine Verantwortung übernehmen zu müssen.

Schulpflicht auch für San

Botswana ist das einzige afrikanische Land, das die San den anderen Volksgruppen im Lande, den Tswanas, Hereros und Kalangas, juristisch vollkommen gleichgestellt hat. Die Regierung findet es an der Zeit, die Diskriminierung der afrikanischen Urbevölkerung durch die später im südlichen Afrika seßhaft gewordenen Bantuvölker zu beenden. Sie unterschätzt keinesfalls die Größe der Aufgabe, sondern weiß: Es wird Generationen dauern, um die San aus ihren urgemeinschaftlichen Lebensformen und der oft völligen Verelendung, in der sie »nach Gebrauch« durch die südafrikanische Apartheid in den Busch zurückgestoßen worden sind, in heutige Produktions- und Lebensweisen Afrikas zu bringen. Aber Botswana geht die Aufgabe vehement an. Das reiche Botswana mit seinen auf Diamantenminen beruhenden jährlichen Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts von nahezu zehn Prozent könne sich das auch leisten, halten die Nachbarländer entgegen. Die Regierung Botswanas sieht diesen Kampf jedoch eher als einen Kampf um die Würde Afrikas und seiner Bewohner an. Sie steht dazu auch in Vorbereitung der Antirassismuskonferenz im südafrikanischen Durban. Das Förderprogramm für die San in Botswana ist vorbildlich. Die Regierung baut ihnen Siedlungen in der Zentralkalahari, an der Grenze zu Namibia, da, wo die meisten von ihnen leben. Derzeit bewohnen etwa 4000 San 20 solche kleinen Siedlungen mit festen Steinhäusern und Tiefbrunnen. Wer freiwillig kommt, erhält kostenlos Grundnahrungsmittel und eine Art Sozialhilfe von 110 Pula (rund 36 DM). Um diese Siedlungen herum greifen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Während das Seßhaftwerden der Erwachsenen noch mehr oder minder freiwillig verläuft, gilt für die Kinder der San schon die gleiche Schulpflicht wie für alle anderen Kinder Botswanas. Die Regierung läßt sie zu Schulbeginn zum Teil sogar mit Flugzeugen bei den Eltern abholen und in Internatsschulen bringen. Nur in den Ferien leben sie bei ihren nomadisierenden Familien. So soll nach und nach eine neue San-Generation herangebildet werden, die einerseits ihre Kultur nicht vergißt und nicht verleumdet, und andererseits ihr Leben den Tswana, Kalanga und Herero angleicht. Die Regierung weiß, daß manche Familien den Schulbesuch der Kinder als Zwangsmaßnahme empfinden, ist aber entschlossen, die gesetzliche Schulpflicht mit kostenlosem Grundschulunterricht für alle Kinder gleicherweise durchzusetzen.

Auch die staatlichen Gesundheitsstationen und die kostenlose medizinische Versorgung der Bürger sind ein Segen für die San. Wie kein anderes Volk im südlichen Afrika leiden San schon seit Generationen unter Syphilis, Tuberkulose, Typhus und nunmehr auch noch unter AIDS. Im Winter sterben Kinder und ältere Menschen reihenweise an Grippe und Lungenentzündung. Immer noch liegt die Kindersterblichkeit bei 50 Prozent. Kleinkinder haben entzündete Gesichter und aufgeblähte Bäuche - Zeichen von Proteinmangel. Viele »Alte« sind blind, bedingt durch Augenkrankheiten, die der Wüstensand hervorruft. Die Lebenserwartung liegt bei 45 Jahren.

Leben im Freilandzoo?

Steht es Weißen aus Namibia und Südafrika oder europäischen Anthropologen und Ethnologen zu, Botswana für das San-Programm zu kritisieren? Ich meine, nein. Vielleicht nimmt man der Urbevölkerung dabei ihren Lebensstil, und viele San vertrinken auch ihre Sozialhilfe. Der Spagat von der Urgemeinschaft in die Neuzeit ist eine schwierige Sache. Aber das Leben als Jäger und Sammler ist auch im 21. Jahrhundert keine Idylle. Obwohl die Regierung Botswanas einen großen Teil der Zentralkalahari, den Hauptlebensraum der San mit ihren heiligen Tsodilo-Bergen, zum Schutzgebiet erklärt hat, leben dort nur wenige Buschleute. Die meisten San sind schon lange Landarbeiter oder in die Slums am Rande der Städte gezogen, wo sie sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen. Natürlich haben auch in Botswana Tourismus, Bergbau und Rinderzucht den Lebensraum der San eingeengt. Es ist aber eine Illusion zu glauben, daß sich die moderne Entwicklung ausgerechnet in Botswana stoppen ließe. Ich finde es schon sehr bizarr, wenn weiße liberale Südafrikaner plötzlich die Menschenrechte der San entdecken und, wie jüngst in Johannesburg, eine internationale Konferenz für das Recht der San auf Bewahrung ihrer »ursprünglichen« Lebensweise veranstalten.

Burische Arbeitgeber

In Ghanzi, einem Distrikt von über 100000 Quadratkilometern im Westen Botswanas, wo es ausreichend Grundwasser gibt, sind weiße wohlhabende Farmer immer noch die wichtigsten Arbeitgeber für die San. Sie sind Nachkommen burischer Siedler, die sich hier ab 1868 niederließen, die größte Gruppe weißer Siedler überhaupt, die je nach Botswana kam. Als ab 1960 eine Straße nach Ghanzi gebaut wurde, kam der Wohlstand zu den etwa 150 Rinderzüchtern. Nun mußten sie ihre Tiere nicht mehr tagelang durch die Wüste bis zum Schlachthof Lobatse an die südafrikanische Grenze treiben. Per Lastwagen dauern die Viehtransporte nur noch Stunden. Die Herden wuchsen und brachten ihren Besitzern Profit. Heute ist Ghanzi ein attraktives Rinderzuchtgebiet. Sechs Prozent der Herden Botswanas stehen hier. Die Wüste Kalahari ist für europäische Ansiedlung nie einladend gewesen. Die britischen Kolonialbeamten kamen in der Regel aus Südafrika und wurden vertragsmäßig ausgetauscht. Bis heute leben die meisten Weißen in der Hauptstadt Gabarone. Sie haben Regierungsverträge, die vier Jahre gelten und sind sogenannte Expatriats, die dann nach Hause gehen, wenn Bürger Botswanas ihre Jobs übernehmen können.

Erneuerbare Energie

Ich sah mir das San-Entwicklungsprogramm in der Zentralkalahari an. In der Nähe von Ghanzi, das nur 70 Kilometer von der namibischen Grenze entfernt liegt, traf ich auf einen Architekten, der am Bau einer Gästefarm beteiligt ist, die vorrangig den San Arbeit geben soll. Er hatte das alte Farmhaus, das weißen Farmern abgekauft worden war, entsprechend umgebaut, modernisiert und auch die Räume eingerichtet. Strom und Warmwasser liefert eine Solaranlage auf dem Hausdach, und zum Heraufpumpen des Grundwassers wird das Windrad eingesetzt. Botswana ist vorbildlich in der Anwendung umweltfreundlicher Technologien.

In D'Kar, etwa 35 Kilometer nordöstlich von Ghanzi, hat die Nichtregierungsorganisation Kuru Development Trust ihr Hauptquartier. Es liegt auf dem Gelände einer Missionsstation der holländisch-reformierten Kirche. Kuru hat eine ganze Reihe verschiedener Projekte initiiert, die die San fördern und das Zusammenleben der Urbevölkerung mit den anderen Ethnien Botswanas üben. Auf dem Missionsgelände gibt es einen Kindergarten und künstlerische Werkstätten. Es gibt Klassen, in denen San Lesen und Schreiben lernen können, und landwirtschaftliche Ausbildungszentren. Der Trust hatte einen Vorläufer im Ghanzi Craft Centre, das schon 1983 gegründet wurde. Damals kamen Entwicklungshelfer aus Holland, und einige sind immer noch da, um die traditionellen Talente der San als Handwerker, Maler und Zeichner zu fördern und ihnen zu helfen, die seit Jahrtausenden durch ihre Felszeichnungen bekannten Motive und Techniken zu bewahren. Das Zentrum betreut etwa 700 Handwerkskünstler im ganzen Lande. Es kauft ihre Arbeiten auf und vermarktet sie an Touristen und ins Ausland, wobei der Profit fast vollständig zurück in die Entwicklungsarbeit fließt.

Man sieht wunderschöne Arbeiten aus Straußeneierschalen: Ketten, Armbänder, Ohrringe, Stirnbänder und Gürtel sowie ganze bemalte Eier. Anderer Schmuck ist aus Glasperlen und Samen. Auch geschnitzte Holzfiguren von Menschen und Tieren sowie Sets traditioneller Jagdausrüstungen (Speere, Bogen, Tragetaschen) und Musikinstrumente werden angeboten sowie moderne Lederarbeiten - bespannte Stühle, Pferdehalfter, Ledertaschen, Lederhüte. Mir haben es San-Batiken auf Tüchern und T-Shirts mit Motiven von Felszeichnungen angetan. In dem Kuru-Zentrum wird auch die traditionelle Musik und die Sprache der San erforscht und dokumentiert. Am Ende meines Aufenthalts in Ghanzi treffe ich auf die Versammlung der Chiefs des Landes. Sie sind mit einer dickbäuchigen Militärmaschine gekommen, die etwas abseits auf einer Flugpiste steht, von der auch Linienflüge in die Hauptstadt Gabarone verkehren. Die traditionellen Würdenträger, die als Regierungsbeamte den kommunalen Frieden gewährleisten, informieren sich regelmäßig vor Ort über bestimmte Schwerpunktprogramme. Diesmal werden die San besucht, wobei die San-Repräsentanten, die das Treffen mit den Würdenträgern organisert haben, auch mir liebevolle Gastgeber sind. Diese regelmäßigen gemeinsamen Ausflüge sollen das gegenseitige Vertrauen und Verstehen der verschiedenen Stämme und Völker fördern, und das tun sie auch. Alle Stammeswürdenträger haben Sitz und Stimme im Parlament. Es gibt übrigens nicht nur männliche Chiefs. Begutachtet wird auch der Stand der Arbeiten an der neuen Asphaltstraße Maun - Ghanzi - Gabarone. Straßenbau ist in Botswana nicht nur wegen des sandigen Untergrundes eine technische Meisterleistung, sondern auch Schwerstarbeit und ungewöhnlich teuer. Da es kein Wasser gibt, müssen entlang der Strecke Tiefbrunnen gebohrt werden. Alles Baumaterial, sogar die Steine, müssen von weit hergeholt, oft über Hunderte Kilometer herantransportiert werden. Als es 1966 unabhängig wurde, hatte Bechuanaland, wie Botswana damals noch hieß, nur Sandwege. Heute gibt es 8029 Kilometer Asphaltstraßen, auch der gegenwärtige Fünfjahrplan sieht wieder fünf Milliarden Pula für Straßenbau vor.

Der Kalahari-Wüstenstaat Botswana war mit seinen nur 1,5 Millionen Einwohnern bei der Unabhängigkeitserklärung von Großbritannien im Jahre 1966 eines der ärmsten Länder Afrikas. Erst als 1967 in Orapa und kurz darauf in Letlhakane (nahe der Hauptstadt Gabarone) Diamanten gefunden wurden, begann die industrielle Entwicklung des Landes. Die wertvollen Edelsteine garantierten seitdem ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben bis zehn Prozent. Die Diamantenverkäufe machen heute 50 Prozent der Staatseinnahmen und 75 Prozent der Exporterlöse aus. In den mehr als 30 Jahren, die seit den ersten Diamantenfunden vergangen sind, stieg das jährliche Durchschnittseinkommen der botswanischen Bürger von umgerechnet 80 auf 3600 US- Dollar. Dabei gibt es immer noch eine Arbeitslosigkeit von etwa 20 Prozent.

Höchste HIV-Rate der Welt

Botswana kommt mit seinen attraktiven Gegenden, wie dem Okavango-Delta und den Makgadikgadi-Salzseen langsam auch ins Tourismusgeschäft, vermochte aber bis heute kaum eine verarbeitende Industrie zu entwickeln. Gerade ist die vor zwei Jahren erfolgversprechend begonnene Hyundai- Autoproduktion in Gabarone Pleite gegangen. Dabei verloren nicht nur alle Beschäftigten ihren Job und alle kleinen lokalen Zulieferer ihre Existenz, auch den Staat trifft der Bankrott der Südkoreaner, er verliert 254 Millionen Pula für Kreditbürgschaften (1 US$ = 5,5 Pula). Die Landwirtschaft hat sich nach verheerenden Jahren mit Rinderpest (Contagious Bovine Pleuro-Pneumonia) zwar wieder erholt, kann aber noch immer nicht so viel Rindfleisch exportieren, wie es die Botswana gewährten EU-Vorzugsquoten zulassen. Ackerbau ist wegen des Wüstenbodens kaum möglich, was bedeutet, daß Botswana fast alle Nahrungsmittel aus dem Nachbarland Südafrika einführen muß.

Ob sich die Armutsrate der zum großen Teil mangelernährten Bevölkerung verringert hat, erfahre ich nicht. Es gibt keine neuen Zahlen. 1993 lebten 47 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Obwohl die Regierung heute jedem Bürger kostenlose Grundschulausbildung und freie Gesundheitsfürsorge garantiert, weitreichende Beschäftigungsprogramme entwickelt (über die vor allem die Infrastruktur des Landes kontinuierlich ausgebaut wird) und die Armen mit Sozialhilfe versorgt, sind die meisten Männer noch immer als Wanderarbeiter in Südafrika beschäftigt, und auch viele Frauen versuchen, dort als Dienstboten oder Prostituierte ein bißchen Geld zu verdienen. Das führte dazu, daß Botswana heute die höchste HIV/AIDS-Rate in der Welt aufweist und jeder zweite Botswaner mit dem Virus infiziert ist. Die Regierung hat in diesem Jahr den AIDS-Notstand ausgerufen und mehr Staatsgelder zur Bekämpfung der Seuche und zur Behandlung der Kranken zur Verfügung gestellt.

Aus: junge welt, 15. Juni 2001

Zurück zur "Botsuana"-Seite

Zur Seite "Regionen"

Zurück zur Homepage