Bosnien-Herzegowina in der Sackgasse
Haris Silajdzic rüttelt am Abkommen von Dayton
Von Marco Winter *
Auch Miroslav Lajcak zeigt sich enttäuscht und pessimistisch über die innenpolitische Lage Bosnien-Herzegowinas. Zwischen den Spitzenpolitikern von Muslimen, Serben und Kroaten gebe es »praktisch nicht einen einzigen gemeinsamen Punkt«, sagte der EU-Beauftragte dieser Tage der Zeitung »Nezavisne novine« in Banja Luka. Trotz vieler Milliarden Euro Hilfen, trotz Tausender EUSoldaten und ziviler Aufbauhelfer steckt das Balkanland in einer Sackgasse.
Fast 14 Jahre nach Beendigung des Bürgerkrieges in Bosnien und der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton herrscht zwischen den beiden »Entitäten« des leidgeprüften Balkanlandes, der Föderation Bosnien und Herzegowina (BuH) und der Serbischen Republik (RS), und zwischen seinen drei staatstragenden Völkern (Bosniaken, Serben und Kroaten) noch immer kein Einvernehmen. Obwohl es inzwischen sogar ein Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen mit der Europäischen Union gibt, ist nach wie vor der Hohe Repräsentant der EU – derzeit der slowakische Diplomat Miroslav Lajcak – der Politiker mit den größten Machtbefugnissen im Staate. Seit vielen Monaten gelingt es nicht, dringend notwendige Veränderungen zu beschließen. Dazu gehört auch eine Reform der Verfassung und der Struktur des Staatsapparates vor allem in der Föderation mit ihren vielen Kantonen und aufgeblähten Behörden.
Einst, als in der Serbischen Republik noch die Serbische Demokratische Partei (SDS) unter Radovan Karadzic regierte, war es stets die serbische Seite, die für Misserfolge und Verstöße gegen das Dayton-Abkommen verantwortlich gemacht wurde. Das hat sich geändert. Spätestens mit dem Scheitern der Verfassungsreform wurde deutlich, dass es der islamisch orientierten Partei für Bosnien (SZB) unter Haris Silajdzic und der Partei der Demokratischen Aktion (SDA) vor allem darum geht, die Serbische Republik zu beseitigen. Zugleich will man die in Dayton vereinbarte Regel außer Kraft setzen, dass alle wichtigen Beschlüsse in den zentralen Organen in Sarajevo der Zustimmung der Vertreter aller drei staatstragenden Völker bedürfen. Vor diesem Hintergrund trat vor einigen Monaten der Vorsitzende des Ministerrates, Nikola Spiric, zurück. Es kam zu einer schweren Regierungskrise.
Ein weiterer Streitpunkt ist die für 2011 geplante Volkszählung, die durch die Folgen des Bürgerkrieges und die seit der letzten Befragung 1991 eingetretenen Veränderungen notwendig geworden ist. Es sind die islamisch orientierten Parteien, die gegen die Erfassung von Angaben über Nationalität, Sprache und Religion auftreten. Alle in Bosnien und Herzegowina lebenden Bürger sollten stattdessen als Bosnier betrachtet werden. Hinter dieser Strategie steckt nicht zuletzt das Oberhaupt der Muslime, Mustafa Ceric, der übrigens öffentlich erklärt hat, dass die Heimat der Bosnier die Türkei sei. Die Serben bestehen allerdings auf einer kompletten Erfassung. Und die Kroaten verlangen vor einer Volkszählung die Verabschiedung einer neuen Verfassung, in der festgeschrieben wird, dass sie ein staatstragendes Volk sind. So wollen sie verhindern, künftig nur als nationale Minderheit behandelt zu werden.
Aber auch Ereignisse jenseits der Grenzen haben zu einer Zuspitzung der Situation in Bosnien geführt – die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos und die Auslieferung Radovan Karadzics an das Tribunal in Den Haag. Die bosnisch-serbische Führung lehnte eine Anerkennung Kosovos strikt ab und schloss nicht aus, dass ein solcher Schritt zu einem Referendum über die Frage einer möglichen Abspaltung der Serbischen Republik von Bosnien führen könnte. In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass man RS-Regierungschef Milorad Dodik, dessen Ablösung in Sarajevo wiederholt gefordert wurde, inzwischen sehr ernst nehmen muss. Zumal sich seine Partei, der Bund der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), energisch für die Anerkennung und Umsetzung des Abkommens von Dayton einsetzt. Ganz im Gegenteil zu Haris Silajdzic, dem derzeitigen Vorsitzenden des Staatspräsidiums. Obwohl seine jüngste Rede vor der UNVollversammlung und vor der Versammlung des Europarates im BuH-Präsidium keine Zustimmung fand, weshalb er laut Verfassung nur in seinem eigenen Namen hätte sprechen dürfen, griff er in New York das Dayton-Abkommen direkt an und forderte die UNO praktisch auf, es aufzuheben.
Auf einer Sondersitzung des RS-Parlaments in Banja Luka wurde dieses Auftreten scharf verurteilt. Und auch bei den Kommunalwahlen Anfang Oktober erhielt Silajdzic eine Quittung: Während der SNSD und die SDA in ihren Entitäten überzeugend gewannen und im kroatischen Teil der Föderation die Kroatische Demokratische Gemeinschaft vorn lag, erlitt seine SZB eine deutliche Niederlage.
Kroatiens Außenminister Gordan Jandrogovic hat die internationale Gemeinschaft dieser Tage mit Recht dazu aufgefordert, sich wieder stärker auf Bosnien-Herzegowina zu konzentrieren, weil ein instabiles Bosnien zur Verunsicherung der Lage in ganz Südosteuropa führen könnte.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2008
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