Bosnien - ein Protektorat im Weltsicherheitsrat?
EU und USA fordern eine Änderung der Verfassung
Von Marko Winter *
Fast 14 Jahre nach Unterzeichnung des Dayton-Abkommens ist Bosnien und Herzegowina noch
immer ein Protektorat, in dem ein »Hoher Repräsentant« der internationalen Gemeinschaft die
Macht ausübt. Ein Beitritt zu NATO und EU ist damit nicht vereinbar.
Das Abkommen von Dayton beendete 1995 zwar den opferreichen Bürgerkrieg in Bosnien und
Herzegowina, aber es brachte - wie schon damals Vertreter von bosnischen Muslimen, Serben und
Kroaten sagten - einen schlechten Frieden. Denn keines der drei staatstragenden Völker sah sich
am Ziel seiner Wünsche. Die Serben hatten eine Trennung von Jugoslawien verhindern wollen, ein
Großteil der Kroaten wollte sich Kroatien anschließen, und die Führung der Bosnier unter Alija
Izetbegovic und Haris Silajdzic hatten um einen muslimisch dominierten Einheitsstaat gekämpft. Nun
aber wurde das Land wurde in zwei »Entitäten« geteilt: die muslimisch-kroatische Föderation
Bosnien-Herzegowina und die Serbische Republik. Der Verfassung gemäß, die als Anlage des
Abkommens ebenfalls in Dayton beschlossen wurde, entstanden als höchste Staatsorgane ein
dreiköpfiges Präsidium, ein Parlament und ein Ministerrat. Das Präsidium kann Beschlüsse nur
einstimmig fassen. In Parlament und Ministerrat muss jeweils mindestens ein Drittel der Vertreter
jeder der beiden Entitäten zustimmen. Dadurch gestaltet sich die Beschlussfassung zwar oft
schwierig, doch nur so sehen viele Experten die Gleichberechtigung der beiden Entitäten gewahrt. In
der muslimisch-kroatischen Föderation, wo dieses »Entitätsprinzip« nicht gilt, sehen sich die Kroaten
dagegen immer öfter von den muslimischen Bosniaken überstimmt, was Unzufriedenheit hervorruft.
Andererseits hat die Aufteilung der Föderation in Kantone mit eigenen Regierungen zur Aufblähung
des Verwaltungsapparats geführt, der gewaltige Kosten verursacht und der Wirtschaftsentwicklung
schadet.
Als Haupthindernis für die Lösung offener Probleme stellen Bosniaken und Kroaten - aber auch
westliche Staaten - seit Jahren jedoch die bloße Existenz der Serbischen Republik (Republika
Srpska - RS) dar. Die hat sich nach der Überwindung innerer Machtkämpfe unter der Regierung
Milorad Dodiks stabilisiert und wirtschaftlich gefestigt. Und ihre Führung besteht darauf, dass jeder
Versuch, das Dayton-Abkommen zu Lasten ihrer Rechte und Befugnisse zu ändern, die Existenz
von Bosnien und Herzegowina als Ganzes in Frage stellt.
Angesichts dieser Widersprüche sah sich die »internationale Gemeinschaft« bisher außerstande,
ihren »Hohen Repräsentanten« - derzeit der Österreicher Valentin Inzko - als
Entscheidungsbefugten in letzter Instanz abzuziehen, obwohl dies längst beabsichtigt war. So
müsste Bosnien und Herzegowina im Januar 2010 den ihm zugesprochenen nichtständigen Sitz im
UN-Sicherheitsrat als Quasi-Protektorat der EU und der USA einnehmen.
Brüssel und Washington mühen sich seit Monaten, dies zu vermeiden. Unter Vorsitz des
schwedischen Außenministers und amtierenden EU-Ratsvorsitzenden Carl Bildt und des
stellvertretenden US-Außenministers James Steinberg fanden am 9. und am 20. Oktober auf der
NATO-Basis Butmir bei Sarajevo Verhandlungen mit Vertretern der wichtigsten Parteien von
Bosniaken, Serben und Kroaten statt. Dabei sollte es um Verfassungsänderungen gehen. Das von
EU und USA vorgelegte Paket stieß jedoch auf Widerstand aller drei Seiten. Der Vorschlag, das
»Entitätsprinzip« bei Abstimmungen in den Führungsorganen abzuschaffen, das Staatspräsidium
durch einen Präsidenten mit zwei Stellvertretern zu ersetzen und den Ministerrat in eine Regierung
mit einem Premier an der Spitze zu verwandeln, kommt zwar den Forderungen der muslimischbosnischen
Seite entgegen, geht ihr jedoch nicht weit genug. Mehr oder weniger offen fordern die
muslimischen Parteien die Schaffung eines Nationalstaats der Bosniaken. Die Kroaten sähen am
liebsten die Bildung einer dritten, kroatischen Entität. Und nach Ansicht der Serben laufen die
Vorschläge einzig darauf hinaus, ihre Republik zu beseitigen. Das Parlament Bosnien-Herzegowinas
hat 42 Abgeordnete, davon vertreten 28 die Föderation (22 Bosniaken, 6 Kroaten) und 14 die
Serbische Republik, wobei zwei Mitglieder bosniakischer Parteien sind. Die Serben könnten also
stets überstimmt werden.
Für November sind neue Treffen geplant, aber die Wahrscheinlichkeit einer für alle annehmbaren
Lösung tendiert gegen Null.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Oktober 2009
Zurück zur Bosnien-Seite
Zurück zur Homepage