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Ein Schreckgespenst des Krieges in Bosnien

Enthüllungen in Den Haag, die nur niemand zur Kenntnis nehmen will

Von Marcus Papadopoulos *


Editorische Vorbemerkung:
Der nachfolgende Artikel erschien bereits im Jahr 2010. Er hat aber deshalb nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt, weil solche und ähnliche Berichte über die Prozesse gegen serbische Politiker und Armeeangehörige vor dem Kriegsverbrecher-Sondertribunal in Den Haag nach wie vor nicht den Weg in die hiesigen Medien finden. Hier sind die Serben, die in Den Haag angeklagt sind, allemal schon vorverurteilt. Auf ihr Konto, so die herrschende und hier zu Lande medial verbreitete Meinung, gehen (fast) alle Kriegsverbrechen, die während der 90er Jahre auf dem Balkan begangen wurden. Der folgende Beitrag gibt den Blick frei auf eine andere Perspektive des Bürgerkriegs im zerfallenden Jugoslawien. (AG Friedensforschung)


Der Bürgerkrieg in Bosnien,

der von 1992 bis 1995 andauerte, sah die schlimmsten Kämpfe, die Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte.

Es bekämpften sich die drei größten ethnischen Gemeinschaften, die in Bosnien lebten, die bosnischen Muslime, die bosnischen Serben und die bosnischen Kroaten. Die muslimische und serbische Bevölkerung zusammen machen drei viertel der bosnischen Bevölkerung aus.

Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen wurden von alle Seiten während des Konflikts durchgeführt.

Die Kämpfe in Bosnien wurden beendet durch das Dayton-Abkommen, unterzeichnet in Dayton, Ohio, im November 1995.

Der Krieg in Bosnien folgte auf die Kriege in Slowenien und Kroatien, die das Auseinanderbrechen der Sozialistischen Föderalen Republik Jugoslawien ankündigten.

Jugoslawien wurde 35 Jahre lang von dem kommunistischen Führer Josip Broz Tito regiert, bis zu seinem Tod 1980. Unter seiner Herrschaft verfolgte Jugoslawien einen unabhängigen Kurs während des Kalten Krieges und war ein Gründungsmitglied der Bewegung der Blockfreien Staaten.

Tito hielt den Flickenteppich der ethnischen Gruppen in Jugoslawien mit harter Hand zusammen unter dem Slogan „Brüderlichkeit und Einheit“. Heute existieren sieben Länder, entstanden aus der Asche des alten Jugoslawien: Serbien, Kroatien, Bosnien, Slowenien, Mazedonien, Montenegro und Kosovo.



Ein ehemaliger UN-Offizier lieferte eine bedeutsame Enthüllung während seiner Zeugenaussage kürzlich beim Prozess gegen den früheren Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, in Den Haag, die, wohl nicht überraschend, nur wenig – genauer gesagt, überhaupt keine – Erwähnung in den westlichen Medien fand.

Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen und Radio waren in den meisten Teilen Nord-Amerikas und West-Europas entschieden pro-muslimisch und anti-serbisch in ihrer Berichterstattung über die Probleme und Schwierigkeiten auf dem Balkan.

Aber die Beweise, die der UN-General lieferte, der ironischer weise als Zeuge der Anklage vorgeladen war, sind wirklich von außerordentlicher Natur.

Er äußerte unter Eid, dass während des Bürgerkrieges in Bosnien bosnisch-muslimische Kräfte ihre eigene Zivilbevölkerung beschossen und dann die serbische Seite dieser Gräueltaten beschuldigten. Diese Enthüllungen von Generalmajor David Fraser, dem militärischen Assistenten des Kommandeurs der UN-Schutztruppe in Sarajevo von April 1994 bis Mai 1995, haben zweifelsfrei das Potenzial, eine Pandora-Büchse für den Westen zu werden, falls sie denn in den Medien weit verbreitet würden.

Auf dem Spiel steht hier das Bild der bosnisch-muslimischen Regierung als unschuldiger und friedliebender Institution – eine Wahrnehmung, die gepflegt und propagiert wurde nicht nur von den westlichen Regierungen, sonder auch durch westliche Journalisten und PR-Firmen – ein Bild , das hier ernsthaft in Frage gestellt wird.

Frasers Zeugenaussage würde auch die Grundlage für die NATO-Bombardierungen der bosnischen Serben von 1994 und 1995 untergraben.

Im Kreuzverhör durch Karadzic sagte Fraser, er habe von befreundeten UN-Soldaten gehört, dass die ( muslimische ) Armee von Bosnien und Herzegowina Scharfschützen eingesetzt habe zum gezielten Beschuss muslimische Kinder in der bosnischen Hauptstadt, um dann diese Tötungen den Serben in die Schuhe zu schieben.

Er sagte, „Gegen derartige Aktionen wurde ein Protest gegen die Muslime eingelegt.“

Was den Artillerie-Beschuss von Sarajevo betrifft, so bezog sich Fraser auf einen Vorfall, bei dem die UN feststellten, dass die Mörser-Granaten gegen muslimische Zivilisten in dem Skenderija genannten Gebiet in der Tat von muslimischen Kräften abgefeuert worden waren.

„Es schien so zu sein, dass die Absicht der Muslime darin bestand, höhere eigene Verluste herbeizuführen und die Serben dafür zu beschuldigen.“

Fraser erinnerte sich daran, dass ein bewusstes Vorgehen der bosnisch-muslimischen Kräfte darin bestand, bewegliche Mörser-Geschütze in besonderen Lagen, z.B. neben UN-Einrichtungen oder Krankenhäusern, abzufeuern, um eine Reaktion der serbischen Seite zu provozieren, aber nicht gegen das Geschütz selbst, sondern für den Kollateralschaden, und das war inakzeptabel.“

Zu der berüchtigten „Allee der Scharfschützen“ – einer Strecke von 200 bis 300 Metern in der Nähe der Marschall Tito Kaserne im Zentrum Sarajevos - äußerte Fraser, dass die Vorfälle dort für die muslimische Seite von „politischem Nutzen waren“.

Im Anschluss an diese Aussagen, in Verbindung mit Frasers Aussage, dass die serbischen Generäle in Sarajevo „intelligent“ waren, fragte Karadzic, warum die obere Ebene des serbischen Militärs ihren Scharfschützen erlaubt haben sollte, in der „Allee der Scharfschützen“ auf Zivilisten zu feuern, wenn dies der muslimischen Seite zum Vorteil gereichte.

Frasers Antwort gibt schon zu denken.

„Ich würde zugeben, dass beide serbischen Kommandeure ein hohes Maß an Professionalität und Intelligenz, Erfahrung und Kontrolle über ihre Truppen an den Tag legten, und darüber hinaus in der Tat alle Aktionen, die dort passierten unter Kontrolle hatten. Also muss ich mir selber wohl die Frage stellen – warum würde jemand, der über Kommandogewalt und Kontrolle verfügt, Scharfschützen in diesem Gebiet als militärische Taktik einsetzen, die nur der anderen Seite von politischem Nutzen sein würden. Ich meine, sie waren keine Dummköpfe.“

Frasers Zeugenaussage bezüglich des Verhaltens der bosnisch-muslimischen Kräfte gegenüber ihren eigenen Leuten hilft, einen dunklen Schatten zu werfen auf das akzeptierte westliche Narrativ darüber, warum Bosnien in einem Bürgerkrieg versank und über die Ereignisse, die dort während des dreijährigen Konflikts passierten.

Die erbitterten Kämpfe, die Bosnien überfluteten, waren ein Resultat der Ermutigung des muslimischen bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic durch die USA - die sich davon eigene geostrategische Vorteile versprachen - einseitig die Unabhängigkeit zu erklären.

Aber die bosnisch-serbische Bevölkerung hatte, wie der frühere US-Außenminister Colin Powell sagte, „sehr gute Gründe besorgt zu sein über ihr Leben in einem muslimisch dominierten Bosnien.“

Es war unvorstellbar, dass die Serben das Leben in einem unabhängigen muslimisch geführten Bosnien tolerieren würden ohne mit aller Kraft dagegen Widerstand zu leisten.

Ein wichtiger Faktor zur Erklärung, warum die westliche Öffentlichkeit größtenteils eine negative Sichtweise auf die Serben während des Krieges in Bosnien einnahm, lag an der Art der Berichterstattung über den Konflikt durch die Journalisten.

Wie der frühere UNPORFOR Kommandeur in Bosnien, General Sir Michael Rose sagte, „ Die Berichte und Kommentare einiger Mitglieder des Pressecorps in Sarajevo wurden fast für Propagandaaktivitäten der bosnischen Regierung gehalten.“

Da sie die große Mehrheit der westlichen Journalisten auf ihrer Seite sahen, nutzten die bosnischen Muslime dies zu ihrem Vorteil, und es gelang ihnen, die Tötung ihrer eigenen Leute in Sarajevo den Serben in die Schuhe zu schieben, weil sie wussten, das die Auslandspresse diese Taten der serbischen Seite anlasten würde.

In einem Kommentar dazu sagte der frühere Stellvertretende Oberkommandierende des US European Command, General Charles G. Boyd:“ Kein erfahrener Beobachter in Sarajevo zweifelt auch nur einen Augenblick daran, das die muslimischen Kräfte es als in ihrem Interesse liegend gesehen haben, auf eigene Ziele zu feuern.“

Was dann als serbische Gräueltaten beschrieben worden war, wurde vom früheren US-Präsidenten Bill Clinton als Vorwand für die NATO-Bombardierung der bosnischen Serben 1994 und 1995 verwendet, womit man Fuß fassen konnte in einem strategisch wichtigen Teil Europas, und Russland daran hinderte zukünftig Einfluss in der Region zu gewinnen – Russland ist ein traditioneller Verbündeter der Serben.

Einige Kommentatoren glauben nun aber, dass eine bedeutsame Neubewertung von dem, was im Vorlauf zum und während des bosnischen Bürgerkrieges passierte, dringend erforderlich sei.

Die Ursprünge des heutigen US-Unilateralismus, die wachsende islamische Militanz auf dem Balkan dieser Tage und der gefährliche Einfluss, den die Medien auf politische Entscheidungen haben, wurzeln alle in dem bosnischen Konflikt. Die Welt wird ein gefährlicher Ort zum Leben bleiben, solange diese Neubewertung nicht erfolgt ist.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Originalartikel: A spectre of Bosnia's war. In: Morning Star (online), Thursday 18 November 2010; www.morningstaronline.co.uk


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