Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Sollen wir Parkwächter bleiben?"

Boliviens Umweltminister will den Kampf gegen den Klimawandel nicht der Privatwirtschaft überlassen *


osé Antonio Zamora Gutierrez ist seit dem Jahr 2012 Minister für Umwelt und Wasser des Plurinationalen Staates Bolivien. In dieser Funktion nahm er auch am Petersberger Klimadialog teil, der am Dienstag in Berlin zu Ende ging. Über den Ruf seines Landes als Störer der internationalen Klimadiplomatie, schmelzende Andengletscher und das Recht auf Wohlstand ohne Armut sprach mit ihm Benjamin Beutler.


Beim Klimagipfel 2010 in Cancún weigerte sich Bolivien als einzige Nation der Welt, für die lasche Abschlusserklärung zu stimmen. Was macht Ihr Land zum Enfant terrible der weltweiten Klimaverhandlungen?

Wir stören. Seit der Präsidentschaft von Evo Morales 2006 hat sich Bolivien dem Leben verpflichtet. In der Idee von der Mutter Erde, die auch in unserer Verfassung festgeschrieben ist, kommt diese Haltung deutlich zum Ausdruck. Sie gilt es zu schützen. Die kapitalistische Entwicklung der letzten 200 Jahre mit ihren Produktions- und Konsumweisen hat zu den aktuellen Krisen geführt, auch zur Umwelt- und Klimakrise. Jetzt ist ein Limit erreicht. Bankenkrisen, Wertekrisen oder Eigentumskrisen kann der Mensch beheben, der Kapitalismus hat dafür bisher immer einen Ausweg gefunden. Die Klimakrise jedoch lässt sich weder verhandeln, noch lässt sich auf Zeit spielen, wie damals in Cancún. Vor allem aber ist in einer kapitalistischen Welt eine Lösung nicht möglich. Bolivien setzt sich für einen Wandel in Produktion und Konsum ein, dieser aber muss auf globaler Ebene passieren.

Was schlägt Boliviens Regierung konkret vor?

Wir dürfen den Kampf gegen den Klimawandel nicht der Privatwirtschaft überlassen. Wir sind gegen den Handel mit Verschmutzungsrechten, es darf keinen Preis für Kohlendioxid geben. Klimaschädliche Produktionsweisen werden über mehr Markt nur gefestigt. Das sind genau die Mechanismen, die uns die Krise gebracht haben. Auch das REDD-Programm, also Geld für den Schutz von Regenwaldflächen zur Senkung des CO2-Ausstoßes, lehnen wir als nicht zielführend ab. Wir glauben nicht an Umweltdienstleistungen, weil sie die Systemlogik des Marktes stützen. Konkrete Reduktionsziele sind wichtiger; Technologietransfers für mehr Umweltschutz. Dafür werden wir natürlich angefeindet, darum mag man uns nicht.

Sind Klimaveränderungen überhaupt schon spürbar?

Der Klimawandel beschert unserem Land eine große Rechnung, obwohl wir für nur 0,01 Prozent der Klimaschuld verantwortlich sind. Die Andengletscher sind in den letzten 30 Jahren um 40 Prozent abgeschmolzen. Geht der Trend weiter, verschwinden sie in den nächsten Jahrzehnten ganz. Millionenstädte wie La Paz und El Alto bekommen bereits Probleme mit der Trinkwasserversorgung. Die Gletscher haben zudem eine kulturelle Bedeutung, für viele Menschen sind sie Götter. In Bolivien gibt es immer mehr Überschwemmungen und Dürren, Landwirtschaft und Viehzucht leiden unter den Klimaveränderungen. Die Regenzeiten verschieben sich. Viele junge Menschen gehen ins Ausland, und nur die Alten bleiben. Aus dem Hochland siedeln viele Bauern (auf der Suche nach neuen Ackerflächen, d. Red.) in die Amazonas-Tiefebene, durch Abholzung entsteht starker Druck auf die Umwelt. Aber was sollen wir machen, wir können den Menschen nicht verbieten zu essen.

Straßenbau, Bergbau oder Gasförderung, die Natur schützen und Entwicklung voranbringen, ist das nicht auch in Bolivien ein Widerspruch?

Wir sehen die Mutter Erde nicht als Objekt. Sondern als Person, mit der die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ausgehandelt wird. Das Kyoto-Protokoll ist für uns ein Fortschritt. Doch gibt es Staaten, die nicht einmal beigetreten sind, so wie die USA. Oder die das Abkommen wieder verlassen haben, so wie Kanada. Bolivien braucht Entwicklung, wir haben das Recht auf Wohlstand ohne Armut. Die am wenigsten entwickelten Länder haben den Klimawandel nicht in Gang gesetzt. Wir müssen aber mit den Konsequenzen leben. Jetzt versuchen wir, eigene Entwicklungsmodelle voranzutreiben, und werden prompt von einigen Indus- trieländern als Umweltsünder kritisiert.

Wie erklären Sie sich diese Kritik?

Das ist Teil einer alten Politik und Weltsicht. Die Vereinigten Staaten etwa haben uns immer als ihren Hinterhof betrachtet. Wir seien so etwas wie ihr Garten. Unsere Aufgabe sei der Schutz der Wälder zu Gunsten der Länder des Nordens. Sie können mit ihrer industrialisierten Wirtschaftsstruktur die Luft weiter verschmutzen, wir aber hätten die Pflicht, den Amazonas nicht anzurühren. Unsere Rolle sei die des Luftreinigers. Aber so werden wir nie etwas produzieren, uns nie entwickeln. Seit den 1990er Jahren aber sind fast 50 Prozent unseres Staatsgebietes Schutzgebiete. Sollen wir Parkwächter bleiben, ohne Straßen zu bauen, ohne Gas zu fördern, immer nur den Sauerstofflieferanten für den Norden geben? So würden wir für immer in Armut leben.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 16. Juli 2014

Finanzzusagen an Entwicklungsländer

Die Entwicklungsländer können im Kampf gegen den Klimawandel mit mehr finanzieller Unterstützung rechnen. Beim »Petersberger Klimadialog« sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montagabend in Berlin 750 Millionen Euro für den »Green Climate Fund« zu. Man hoffe, dass andere Staaten nun nachziehen werden, unterstrich die Kanzlerin. Insgesamt seien in den vergangenen drei Jahren insgesamt rund 3,2 Milliarden Euro von Deutschland für den Fonds zugesagt worden, hieß es. Der »Green Climate Fund« soll arme Länder beim Klimaschutz und bei der Anpassung an die Erderwärmung unterstützen. Von 2020 an sollen dafür jährlich 100 Milliarden US-Dollar bereitstehen.

Nach Einschätzung der Hilfsorganisation Oxfam beendet Deutschland nun »das quälende Mikado-Spiel um den bislang leeren Green Climate Fund«. Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien oder Japan müssten diesem Beispiel folgen, forderte der Oxfam-Klimaexperte Jan Kowalzig. Nur so kämen die von den Entwicklungsländern geforderten 15 Milliarden US-Dollar an verbindlichen Zusagen bis zur nächsten Weltklimakonferenz in Peru zusammen. Kowalzig appellierte zudem an die Bundesregierung, die Klimahilfen 2015 deutlich anzuheben.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zeigte sich am Dienstag zuversichtlich, dass auch die USA, China und die EU bis zum Frühjahr 2015 verbindliche und ehrgeizige Klimaschutzziele vereinbaren werden. »Alle haben akzeptiert, dass sie zu Hause ihre Hausaufgaben machen müssen«, sagte Hendricks.

An dem zweitägigen Treffen nahmen Vertreter aus rund 35 Staaten teil. Der »Petersberger Klimadialog« dient dazu, die UN-Klimakonferenz im Dezember in Peru vorzubereiten.

* (nd, 16. Juli 2014)




Zurück zur Bolivien-Seite

Zur Bolivien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Klima-Seite

Zur Klima-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Umwelt-Seite

Zur Umwelt-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage