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Revolutionäre Idee ohne Rückhalt

Boliviens Biobauern haben zwar inzwischen ein eigenes Siegel, doch der Staat knausert

Von Knut Henkel, Cochabamba *

Ein eigenes nationales Biolabel hat Bolivien aus der Taufe gehoben. Doch anders als geplant wartet das Siegel immer noch auf seinen Durchbruch.

Die Idee ist stark: ein eigenes nationales Biolabel für Bolivien. Die Unterstützung ist schwach: Es fehlt an Märkten und an der nötigen Unterstützung von oben, so Ricardo Torres. Er ist einer der Verantwortlichen der CENAPE, der halbstaatlichen Organisation, die für den Ausbau des Biosektors verantwortlich ist.

»Mit den vielen Regenfällen ist es derzeit gar nicht einfach, das Gemüse ohne gelbe Stellen auf den Markt zu bringen«, stöhnt Fani Caroline Crespo Salazar und rollt mit den Augen. Sie fühlt mit ihrem Schwager, der für den Anbau von Brokkoli, Mohrrüben, Blattsalat und Co. verantwortlich ist und derzeit alle Hände voll zu tun hat, um das Gemüse heil vom Feld und aus dem Gewächshaus zum Markt zu bekommen. Zweimal die Woche, mittwochs und samstags, baut sie ihren Verkaufsstand auf.

Die Nachfrage nach Bio-Gemüse steigt stetig. »Wir haben uns mittlerweile einen Kundenstamm aufgebaut, der regelmäßig kommt und dafür sorgt, dass wir von unserer Arbeit leben können«, sagt die 35-jährige Bolivianerin lächelnd. Im sechsten Jahr kommt sie Mittwochmorgens um acht Uhr zur Ecoferia im Parque la Torre, nahe der Universität von Cochabamba. Der kleine Biomarkt mit rund zwei Dutzend Anbietern gehört zu den Pionieren in Bolivien und hat gerade sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert.

Bio fristet immer noch ein Nischendasein in Bolivien. Den meisten Bolivianern geht es zuerst einmal darum, überhaupt den Magen gefüllt zu bekommen. Das weiß auch Ricardo Torres. Der rundliche Mann mit dem buschigen Schnauzer und dem zurückgehenden Haaransatz ist Agrartechniker und seit Jahren in Bolivien unterwegs, um dem Bioanbau zum Durchbruch zu verhelfen. Allerdings nicht dem auf den Export schielenden Anbau von Nüssen, Kakao, Kaffee und dem Andengetreide Quinoa, sondern dem von Gemüse, Salat und Kartoffeln für den lokalen Markt.

»Dafür haben wir im Frühjahr 2012 ein alternatives Biosiegel aus der Taufe gehoben, um Bio auch für die lokale Bevölkerung erschwinglich zu machen«, sagt er. Die Grundidee dahinter ist einfach: Da die Zertifizierung von Bioprodukten durch international agierende Unternehmen wie Bio Latina oder die deutsche BCS Öko Garantie aus Nürnberg kostspielig ist, setzt man auf eine preiswertere lokale Alternative und hat ein eigenes Label kreiert. Das heißt ganz unspektakulär Producto Ecólogico – Bolivia Estado Plurinacional, auf Deutsch so viel wie Bioprodukt aus dem Vielnationenstaat Bolivien.

»Das Label liegt auf fast allen Verkaufstischen bei uns aus und hat bei den Konsumenten für Glaubwürdigkeit gesorgt«, so Alberto Cárdenas. Der Agraringenieur arbeitet für die Stiftung »Agrecol Andes«, die sich im Bereich der städtischen und kleinbäuerlichen Landwirtschaft engagiert sowie den Ausbau des Bioanbaus in Bolivien fördert. Der ist mit rund 80 000 Produzenten bereits recht kräftig. Doch der Fokus der Produzenten liegt auf dem Export und das soll sich mit dem nationalen Siegel ändern.

»Die Produktion für den nationalen Markt soll steigen«, erklären Cárdenas und Torres unisono. Dabei sollen die Produktionsstandards nicht von internationalen Experten, sondern von Produzenten, Konsumenten und Experten des Verbands der Bioproduzenten Boliviens (AOPEB) sowie der CENAPE kontrolliert werden. Das ist billiger und wegweisend, ist sich Torres sicher. Knapp 8000 Kleinproduzenten hat er bisher bescheinigt, dass sie biologisch produzieren und ihre Produkte mit dem Siegel verkaufen können.

Woran es fehlt, sind ausreichend Biomärkte für den Absatz. »Nur wenn wir den Produzenten auch Märkte anbieten können, haben wir eine Chance, den Bioanbau auszubauen und Hoffnung, dass er sich durchsetzt«, so Torres. Doch dafür fehlen dem Agrartechniker die Mittel und das Personal. Das Gros der Gelder, die bisher in das Siegel und die Entwicklung der Strukturen flossen, kamen bisher aus dem Ausland – aus Deutschland, aus der Schweiz, aus Skandinavien. Aus den Töpfen der bolivianischen Regierung floss bisher nur wenig und Priorität scheint das Siegel im Agrarministerium nicht zu haben. Das setzt zumindest auch auf die agroindustrielle Produktion von Soja und Hühnerfleisch im Tiefland von Santa Cruz. Programme zur Förderung von kleinbäuerlichen Strukturen kommen nicht so recht vom Fleck, monieren Genossenschaften, die beim Bioverband AOPEB aktiv sind.

Dabei wäre gerade der Bioanbau für die Produktion im andinen Hochland, wo die Produktionsbedingungen alles andere als einfach sind, ideal. Dort leben schließlich auch viele indigene Produzenten, die zum Klientel der Regierung gehören, so kritisieren Sozialexperten wie der aus Cochabamba stammende Roberto Laserna. Er plädiert für mehr Initiativen, um die Landwirtschaft produktiver zu machen. Die Erträge liegen oft unterhalb derer von Nachbarländern wie Peru oder Argentinien und viele Bauern haben Schwierigkeiten, von den Erlösen zu leben.

Bio ist daher durchaus eine Perspektive, so Torres, der jedoch nur über einen geringen Etat verfügt, um aktiv beraten zu können. »Eigentlich müssten wir in allen Gemeinden des Landes präsent sein und mit den Bauern dort arbeiten, sie informieren, wie Bioanbau funktioniert und wie man sich für das nationale Biosiegel bewirbt«, so Torres. Doch dafür reichen die Mittel nicht. Die CENAP und der AOPEB agieren gerade in 26 der 339 Gemeinden Boliviens. Das muss sich ändern und Torres und seine Mitstreiter bei der CENAPE hoffen nach der Regierungsbildung auf mehr Mittel, um dem Siegel zum Durchbruch zu verhelfen. Dann könnte es durchaus Modellcharakter für andere Länder haben.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Oktober 2014


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