Streit um Boliviens Wahlrecht
Opposition fürchtet Stärkung der Partei von Präsident Morales auch in den Regionen
Von Benjamin Beutler *
Auf Einladung der erstarkten Linksregierung trafen sich jetzt die
Regionalpräfekten und die Bürgermeister der Kommunen, um in der
Hauptstadt La Paz über ein neues Übergangswahlrecht zu verhandeln. Es
soll bei den anstehenden Regional- und Kommunalwahlen gelten, die
ersten, seit im Januar 2009 die neue Verfassung angenommen wurde.
»Die Wahlen müssen so oder so stattfinden, damit im April neun
Präfekten, neun Regionalparlamente sowie die Bürgermeister und ihre Räte
bestimmt werden können«, betonte Vizepräsident Álvaro García Linera von
der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). Er ahnt einen
neuen Konflikt mit den oppositionell regierten Tiefland-Regionen. Die
»Neugründung Boliviens« per Verfassung sieht eine
administrativ-territoriale Neuordnung des Andenlandes mit mehr
Dezentralisierung und Machtteilung vor.
So hat vier Monate vor den Wahlen ein Hauen und Stechen um die beste
Ausgangsposition begonnen. Angesichts der Erfolge von Präsident Morales
und seiner MAS bei den jüngsten nationalen Wahlen befürchtet die
Opposition auch in den Regionen einen Machtverlust. Dieser Tage hatte
das Nationale Wahlgericht (CNE) erneut die Wiederwahl von Evo Morales
(64 Prozent der Stimmen) bestätigt. Sicher ist auch die
Zweidrittelmehrheit des MAS in Abgeordnetenkammer und Senat.
Beim Treffen von La Paz ging es vor allem um die Frage, ob die im Amt
befindlichen Präfekten für eine Neukandidatur zurücktreten müssen oder
nicht. Unklar ist zudem, ob bei nicht erreichter absoluter Mehrheit eine
Stichwahl erforderlich ist und ob diese für alle Ämter (Präfekt,
Bürgermeister, Räte) gelten soll. Für die indigene Bevölkerung gibt es
in den erstmalig gewählten Departamento-Parlamenten eine Quotenregelung.
Auch die Einrichtung der indigenen Autonomien steht auf der Agenda. Am
6. Dezember haben sich schon elf Kommunen für eine Selbstverwaltung nach
eigenen »Traditionen und Gebräuchen« ausgesprochen. Besonders spannend
wird die Debatte um die umstrittenen »Autonomie-Statuten«. Die
Tiefland-Opposition hatte sie 2008 hinter verschlossenen Türen entworfen
und in den Departamentos Pando, Beni, Santa Cruz und Tarija trotz
CNE-Verbots per Volksentscheid angenommenen.
Für Carlos Romero, Minister für Autonomie, hat die neue Magna Charta
Vorrang: »Es ist jetzt ein guter Moment, die Statuten zu modifizieren.
Sie müssen der Verfassung angepasst werden.« Doch scheint die Rechte aus
der Wahlschlappe wenig gelernt zu haben und spielt wie gewohnt auf Zeit.
»Streit und Differenzen, nur um die Wahlen zu verhindern, das geht
nicht«, warnte denn auch Vizepräsident Linera in einem Interview.
Alejandro Almaraz, Minister für Landfragen, bestätigte derweil die
Enteignung von 3000 Hektar Landbesitz des einflussreichen
Großgrundbesitzers und Unternehmers aus Santa Cruz, Osvaldo Monasterio.
Ihm gehört die »Banco Ganadero«, beim TV-Oppositionssender Unitel ist er
größter Teilhaber. Das Land soll nun den Indigenen rückerstattet werden.
Erst vergangene Woche hatte das »Nationale Institut für Agrarreform«
Tausende Hektar der Millionärsfamilie und Regierungsgegner Marinkovic
enteignet. Die »Beschleunigung des Wandels«, die Präsident Morales noch
am Wahlabend versprochen hatte, ist wohl ernst gemeint.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Dezember 2009
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