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Geduld am Ende

Bolivien: Waffenfund beweist Putschversuch gegen Präsident Evo Morales. Rechte blockiert Verfassungsprozeß im Kongreß

Von Ben Beutler *

Fast einen Monat nach den gewaltsamen Unruhen in Bolivien verdichten sich die Hinweise, daß Präsident Evo Morales und seine Regierung der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) durch einen bewaffneten Putsch entmachtet werden sollten. Im von der rechten Opposition regierten Tieflanddepartamento Santa Cruz hoben Spezialkräfte der Polizei in der Nacht zum Donnerstag ein Waffenlager aus. Auf einer ersten Pressekonferenz gab Innenminister Rubén Gamarra die Festnahme von vier Männern sowie die Sicherstellung von zehn Schußwaffen (Maschinenpistolen, Gewehre und Pistolen), einer großen Menge Munition und mindestens zehn panzerbrechenden Granaten bekannt. »Das ist ein Beweis mehr für den bürgerlichen Putsch der Präfekturen«, erklärte er in Boliviens Hauptstadt La Paz, wo das beschlagnahmte Kriegsgerät und erste Erkenntnisse der nächtlichen Polizeiaktion »Arsen« präsentiert wurden. »Die Waffen waren nicht für eine Party gedacht«, man habe sich »auf einen Krieg vorbereitet, anstatt auf eine Diskussion der Ideen« beschuldigte der Innenminister die Gegner der vom MAS proklamierten »demokratisch-kulturellen Revolution« im zweitärmsten Land Südamerikas. Die aufgeflogene »kriminelle bewaffnete Organisation« stünde zudem in direkter Verbindung zum regierungsfeindlichen Präfekten von Santa Cruz, Rubén Costas, und dem vom Großunternehmer Branko Marinkovich angeführten »Bürgerkomitee Pro Santa Cruz«. Ihre Aufgabe sei es laut Gamarra gewesen, unter der Bevölkerung »Unruhe und Angst zu säen«.

Schon am Montag hatte MAS-Regierungssprecher Iván Canelas genaue Pläne der Putschisten präsentiert. »Es gab die Absicht, Óscar Ortiz als Präsident einzusetzen«, so Canelas. Im Falle eines erfolgreichen Staatsstreiches hätte der aktuelle Senatspräsident und Mitglied der Oppositionspartei PODEMOS die »normale verfassungsgemäße Nachfolge« von Morales angetreten und wahrscheinlich Neuwahlen ausgerufen. Ortiz wiederum, der seinen Wahlkreis im abspaltungswilligen Departamento Santa Cruz hat und einer der schärfsten Morales-Gegner ist, wirf dem ersten indigenen Präsidenten Lateinamerikas Machtgier vor. Morales sei »verzweifelt« an einer Wiederwahl interessiert, was seine Eile für die Verabschiedung einer neuen Verfassung zur »Neugründung Boliviens« erkläre. Seine Fraktion werde im Kongreß das nötige Gesetz zur Anberaumung eines Verfassungsreferendums weiter blockieren. Erst letztes Wochenende war die Unterzeichnung eines »Nationalen Paktes« zwischen rechter Opposition und sozialistischer Regierung gescheitert, woraufhin die Verhandlungen über strittige Themen wie die neue Magna Charta (Dezentralisierung, Einführung einer Obergrenze für Landbesitz) und die Verteilung von Steuergeldern aus dem boomenden Gasgeschäft in den Kongreß verlegt wurden.

Angesichts des vielfältigen Widerstandes der Rechten haben die sozialen Bewegungen zu einem alles entscheidenden Marsch nach La Paz aufgerufen. »Nur das Volk kann über die Zukunft des Landes bestimmen«, fordert Fidel Surco vom regierungsfreundlichen Bündnis der sozialen Bewegungen »Nationale Koordination für den Wandel« (CONALCAM). Er fügte hinzu, der Dialog könne nicht endlos fortgesetzt werden. »Bisher waren wir geduldig und haben die soziale Stabilität des Landes garantiert«.

* Aus: junge Welt, 11. Oktober 2008


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