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Entschärfter Zwist in Bolivien

Aufschub für umstrittene Referenden

Von Benjamin Beutler *

Der Streit zwischen der bolivianischen Zentralregierung und den nach Abspaltung strebenden Provinzen ist vorerst entschärft. Das oberste bolivianische Wahlgericht hat alle für den 4. Mai angesetzten, konkurrierenden Referenden über eine neue Verfassung untersagt.

Der »Neugründung Boliviens« kommt weiter nur schleppend voran. Der Annahme der im Dezember letzten Jahres ausgearbeiteten Magna Charta wurde am letzten Wochenende ein neuer Stein in den Weg gelegt. Das Nationale Wahlgericht (CNE) erklärte sich angesichts »unzureichender technischer, operativer, juristischer und politischer Bedingungen« außerstande, zwei für den 4. Mai vorgesehene Verfassungsreferenden durchzuführen. Zu deren Durchführung sei ein neuer Kongressbeschluss innerhalb von 90 Tagen nötig, der auch Referenden auf departamentaler Ebene den Weg frei machen soll. Das CNE erklärte seine alleinige Zuständigkeit zur Durchführung von Volksbefragungen.

Während Boliviens Präsident Evo Morales die Entscheidung als »unterstützenswert« akzeptierte und die Opposition zum politischen Dialog aufrief, lehnte der Präfekt des Departamentos Santa Cruz, Rubén Costas, ein Einlenken bezüglich eines Votums im Mai zur Ratifizierung eigener »Autonomie-Statute« ab. Diese sollen den von der Opposition kontrollierten Tieflanddepartamentos weitreichende Kompetenzen des Zentralstaates zusprechen, wie Verfügung über Land und Bodenschätze. »Keinen Schritt zurückweichen« werde man, so Costas zum Machtwort des CNEPräsidenten José Luis Exeni, das oberste Wahlgericht sei die »einzige Instanz, die Referenden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene durchführen kann«. Morales verwies auf die rechtliche Bindung des CNE-Spruches: »Wenn diese Institution Entscheidungen trifft, müssen sie von allen respektiert werden.«

Die letztes Wochenende vom CNE-Präsidenten bekannt gegebene Weisung bremst zwei Referenden, die für die seit zwei Jahren in der Regierungsverantwortung stehende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) richtungsweisenden Charakter haben. In einem soll der im Dezember letzten Jahres vom Verfassungskonvent ausgearbeitete Text der neuen Magna Charta zur Abstimmung kommen, in einem zweiten »beratenden Referendum« die Einführung einer gesetzlichen Höchstgrenze für Großgrundbesitz, was besonders den Agrareliten der oppositionellen Tieflandregionen zuwider läuft.

Eine Woche zuvor hatte der Kongress in La Paz mit der nötigen Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder aus Abgeordnetenkammer und Senat grünes Licht für die zwei Referenden gegeben und den Termin im Mai festgelegt. Begleitet wurde die Abstimmung von einer Massenmobilisierung der sozialen Bewegungen, Bauern und Minenarbeiter, die einen »Beobachtungsring« um den Kongress gezogen hatten.

Nach der Abstimmungsniederlage protestiert e die beim Votum teils abwesende Opposition, MASAnhänger hätten ihr den Zutritt verwehrt. Das Verfahren sei somit »illegal«. Ein bekanntes Muster, blieb doch die Opposition angesichts absoluter MAS-Stimmenmehrheit und des Drucks der Straße schon im Verfassungskonvent dem Votum zum Abschlusstext fern, um die Entscheidung nachträglich als »diktatorisch« delegitimieren zu können. Tatsächlich rief der von der Opposition dominierte Senat kurz darauf zur »Nichtbefolgung« der im Parlament beschlossenen Gesetze auf, ein in der bolivianischen Geschichte einmaliger Vorgang.

Geltendem Recht widersetzt sich auch die Opposition im Departamento Chuquisaca. Eine »Volksversammlung« wählte am Donnerstag letzter Woche einen Präfekten, ein gesetzlich nicht vorgesehenes Wahlverfahren, zudem Morales bereits einen Interimspräfekten ernannt hatte, nachdem der alte aus persönlichen Gründen zurückgetreten war.

Boliviens Außenminister David Choquehuanca kündigte für künftige Treffen mit den Präfekten Beobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) an, damit diese den Abschluss des Verfassungsprozesses »in seiner realen Dimension« begleiten.

* Aus: Neues Deutschland, 13. März 2008


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