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Boliviens neue Verfassung steht

Referendum muss 2008 über endgültige Annahme entscheiden

Von Benjamin Beutler *

Das Verfassungsprojekt von Präsident Evo Morales und seiner Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) zwecks »Neugründung Boliviens« hat eine weitere entscheidende Hürde genommen.

Mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit wurde am Wochenende der Verfassungsvorschlag des MAS »en détail« angenommen, nachdem letzte Woche schon die inhaltlichen Eckpfeiler »en gros« beschlossen worden waren. In der Vollversammlung, die aus Sicherheitsgründen in Oruru tagte, waren 164 der 255 Wahlmänner präsent, sechs anwesende Vertreter der Oppositionspartei UN reichten nicht aus, um die nötige Zweidrittelmehrheit des MAS und seiner Verbündeten zu gefährden.

Die restliche Opposition hatte ihre Teilnahme verweigert, darunter die Partei PODEMOS des früheren Präsidenten Jorge »Tuto« Quiroga, politischer Ziehsohn des verstorbenen Exdiktators Hugo Banzer. »Sicher werden einige Gruppierungen und Parteien nicht einverstanden sein, aber wir, die wir hier versammelt sind brauchen nicht deren Zustimmung, sondern die des Volkes«, erklärte Konventspräsidentin Silvia Lazarte am Sitzungsende des Plenums, das am Samstagabend begonnen hatte und nach einer 16 Stunden währenden Marathonveranstaltung am Sonntag zu Ende ging. Präsident Evo Morales begrüßte die Verabschiedung als »eine große Freude für die Bewegung der Indígenas und des gesamten Volkes«, die neue Magna Charta »heilige so einen friedlichen Wandel«. Der verabschiedete Text, der mit 411 Artikeln doppelt so umfangreich ist wie der bisherige, bestimmt Bolivien als einen »einheitlichen, sozialen, plurinationalen, kommunitären, freien, autonomen, dezentralisierten, unabhängigen, souveränen, demokratischen und interkulturellen Rechtsstaat. Er gründet sich auf der politischen, ökonomischen, rechtlichen, kulturellen und sprachlichen Verschiedenheit und Vielfalt.« Etabliert wird ein System der »gemischten Wirtschaft«, in dem die privaten Formen des Wirtschaftens neben staatlichen, kommunitären und kooperativistischen bestehen sollen. Die von der Opposition geforderte departamentale Selbstverwaltung wird garantiert, aber eben auch indigene und kommunale Autonomien. Auch das Privateigentum bleibt unter Schutz, sowie die freie Ausübung des Glaubens und das Recht auf Information.

Verboten wird die Privatisierung von Wasser, Strom, Bildungs- und Gesundheitswesen. Das Zwei- Kammern-System aus Parlament und Senat wurde nicht wie zuvor angedacht abgeschafft, der Kongress bleibt unter der Bezeichnung »Volksversammlung« bestehen. Die Justiz wird in all ihren Instanzen Normen traditionell-kommunitärer Rechtsvorstellungen einführen. In kommenden Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftswahlen ist weiter eine absolute Mehrheit zur Ernennung nötig. Erreichte kein Kandidat diesen Stimmenanteil, entschied bisher der Kongress, nun soll eine »zweiten Runde« den Sieger bestimmen.

Der in Bolivien üblichen »Politik des Paktierens«, in der politische Minderheiten zur Wahrung partikulärer Interessen die eigentliche Mehrheit ausstechen, soll so künftig ein Riegel vorgeschoben werden. Für mehr Demokratie von unten sollen Amtsenthebungsverfahren eingeführt werden, vom Präsidenten bis zu den Präfekten der Regionen. Einzig nicht einig wurde sich der Konvent über eine Enteignung Hunderttausender Hektar Landes, befindlich im Besitz einiger weniger Großgrundbesitzer. Darüber entscheiden soll nun ein »beratendes Referendum«, danach kommt die Verfassunggebende Versammlung erneut zusammen. Im September 2008 dann soll der komplette Text in einem abschließenden Referendum zur Abstimmung kommen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Dezember 2007


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