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Umweltkreuzzug nur "Show"

Bolivianische Großprojekte irritieren Indigene und Ökoaktivisten

Von Benjamin Beutler *

Die Umweltpolitik von Boliviens Linksregierung hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Großprojekte bedrohen Reservate und Amazonas.

Der Anspruch der in Bolivien regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) in Sachen Naturschutz und alternativer Wirtschaftsentwicklung ist hoch. Der Kapitalismus bringe »Luxus, Bereicherungssucht und Verschwendung für einige Wenige, während Millionen in der Welt Hungers sterben. In den Händen des Kapitalismus verwandelt sich alles in Ware: das Wasser, der Boden, das menschliche Gen, die Jahrhundertkulturen, die Gerechtigkeit, die Ethik, der Tod, das Leben selbst«, klagte Boliviens Staatschef Evo Morales Ende 2008 in einem Brief an den UN-Klimagipfel im polnischen Poznan. »Wenn die Menschheit Solidarität, Zusammenleben und Harmonie mit der Natur« wiederentdeckt, könne der »Planet gerettet werden«, so Morales.

Beim Klimagipfel 2009 in Kopenhagen zählte das südamerikanische Land zu den schärfsten Kritikern der Industriestaaten, die entgegen aller Erwartungen keine verbindliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes vereinbarten. Als Reaktion lud Morales im April 2010 zum Alternativklimagipfel ein, tausende Aktivisten, Nichtregierungsorganisationen und Basisbewegungen diskutierten in Cochabamba über Klima, Umweltschutz und alternative Entwicklung.

Daheim sieht man die Politik des Präsidenten nicht ganz so rosig. »Der Kreuzzug von Evo Morales für die Umwelt ist eine Show«, findet Adolfo Moya, Präsident des »Indigenen Gebietes Nationalpark Isiboro Sécure« (TIPNIS). Das Reservat der bedrohten Völker der Yurakaré, Moxeño, Moja und Chimanes liegt im Herzen einer der artenreichsten Zonen der andinen Tropen, deren Berge, Täler, Flüsse und Seen sich zwischen 180 und 3000 Meter über dem Meeresspiegel ausbreiten. 20 Jahre hatten die Indigenen für das Rückzugsgebiet gekämpft, 2009 wurde den 64 Gemeinden der Rechtsstatus als »Territorio Comunitario de Origen« (TCO) gewährt.

Seitdem die MAS-Regierung die Überlandstraße Villa Tunari nach San Ignacio de Mojos bauen lässt, ist es mit der Ruhe aus. Das »amazonische Messer« stößt mitten durch den idyllischen Nationalpark. Die 306 Kilometer lange Anbindung an den Nachbarn im Osten soll Boliviens isoliertem Amazonas den Zugang zum Pazifik erschließen. Brasilien freut sich auf einen neuen Absatzmarkt. 80 Prozent der 418 Millionen US-Dollar Baukosten sagte Brasilia bereits zu. Das Projekt ist Teil der »Initiative Regionale Integration Südamerikas« (IIRSA) -- Straßen, Pipelines, Häfen, Eisenbahnen, Staudämme und Telefonleitungen sollen den Kontinent wirtschaftlich einen.

Auch andere Infrastrukturvorhaben sind Umweltschützern ein Dorn im Auge. Am Río Madeira, einem Zufluss des Amazonas 160 Kilometer von Boliviens Grenze, werden für 13 Milliarden US-Dollar zwei Megastaudämme für Wasserkraftwerke gebaut. In Zukunft produzieren sie dreimal soviel Strom wie der Hoover-Damm in den USA. Hatte Boliviens Regierung wegen der Umweltschäden auf eigenem Gebiet anfangs protestiert, so ist es heute still um das Thema geworden. Ein politischer Deal: Die IIRSA-Initiative zahlt Bolivien einen eigenen Staudamm in Cachuela Esperanza am Río Beni. Doch müssen die indigenen Völker bei Großprojekten konsultiert werden, laut neuer Verfassung bedarf es der Zustimmung des Senats in La Paz. »Wir wissen, dass wir Entwicklung brauchen«, so Moya. Doch nicht auf Kosten indigener Gemeinden und der Umwelt.

* Aus: Neues Deutschland, 16. August 2010


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