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Mehrheit für Straße wahrscheinlich

Bolivien: Konsultation zu Verkehrsverbindung durch TIPNIS-Nationalpark

Von Benjamin Beutler *

In Bolivien geht das Tauziehen um den Bau einer Straße durch das »Indigene Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« (TIPNIS) weiter. Bis Ende August entscheiden in 69 Amazonas-Dörfern über 5500 Indigene über das Infrastrukturprojekt durch ihre Gebiete. »Der aktuellste Bericht zur Befragung zeigt, daß alle 29 bisher befragten Gemeinden die Unberührbarkeit ablehnen, 28 Gemeinden akzeptieren den Bau der Straße«, informierte am Dienstag Bauminister Vladimir Sánchez. Die seit Ende Juli laufende Konsultation wertete der Politiker der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) als Paradebeispiel für »kommunale Demokratie«. Besonders die Beteiligung von Frauen und Alten in den nur per Boot, Kleinflugzeug oder zu Fuß erreichbaren Gemeinden sei zu unterstreichen. »Es sind vor allem Frauen, die sich Tag für Tag Sorgen machen. Sie geben den Kindern Essen, und sie sind es, die mit Nachdruck mehr Gesundheitsversorgung, Bildung, Sicherheit und Nahrungsmittelsouveränität fordern«, so Sánchez auf einer Pressekonferenz.

Dem seit Monaten schwelenden TIPNIS-Konflikt gibt das Zwischenergebnis eine erstaunliche Wende. Die Führung einer Demonstration gegen das Straßenbauprojekt, die im September letzten Jahres in La Paz angekommen war, hatte mit der Regierung in direkten Verhandlungen ein Schutzgesetz für TIPNIS ausgehandelt. Jeder Eingriff in den Nationalpark wurde darin verboten. Für Präsident Evo Morales war der drohende Imageschaden als »Feind des Amazonas« und »Verräter der Indigenen« zu groß geworden. Wenig später aber forderte das Parlament, in dem seine eigene Partei die absolute Mehrheit hält, eine Befragung der Parkbewohner. Die sich nun abzeichnende Ablehnung der »Unberührbarkeit« und das »Ja« zur ersten Verbindungsstraße zwischen Cochabamba im Anden-Hochland und dem Tiefland-Departement Beni scheint den lange gehegten Verdacht zu bestätigen, daß die Straßenbaugegner ihre Forderungen nicht mit der Basis im TIPNIS abgestimmt haben. »Die Gemeinden sind nicht gegen die Straße, nur kleine Gruppen von Aktivisten haben mobilisiert, um den Eindruck einer großen Gegnerschaft zu erwecken«, meint Sánchez.

Allerdings wurden die Befragung in den Gebieten im Nordosten des Territoriums, wo weitab von der geplanten Asphaltstrecke die Hochburgen der Gegner liegen, noch gar nicht durchgeführt. Doch dort soll die Konsultation verhindert werden. Einen Zugangsfluß sperrten Bewohner mit Stacheldraht. Das Verfahren sei nicht mehr als »Betrug«, urteilt Fernando Vargas, Präsident der Verwaltungseinheit »Subcentral TIPNIS«, die 30 Gemeinden vereint. Bertha Bejarano, Organisatorin des letzten Protestmarsches, kündigte »Widerstand« an: »Ich kann nicht sagen, ob friedlich oder nicht.« 34 Dörfer stellten sich gegen die Befragung durch die Regierung, rechnet der Hochland-Indigenenverband CONAMAQ vor.

La Paz aber will es genau wissen. Nationales Recht gelte für alle Bolivianer. Widerstand gegen die Befragung sei strafbar, stellte die Staatsanwaltschaft klar. Doch längst ist der Umweltkonflikt zum Spielball der Politik geworden. Die Oppositionspartei Bewegung ohne Angst (MSM), die derzeit zu den lautesten Unterstützern der »TIPNIS-Verteidiger« gehört, hatte in zurückliegenden Wahlkämpfen selber den Bau der seit Jahrzehnten immer wieder geplanten Straße versprochen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. August 2012


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