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TIPNIS und kein Ende

Boliviens Regierung stößt mit Schutzprogramm für Naturpark auf neuen Widerstand

Von Benjamin Beutler *

Am Mittwoch (16. Nov.) hat Boliviens Präsident Evo Morales das Schutzgebiet »Indigenes Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« (TIPNIS) überflogen. Er wolle sich ein Bild machen über den Zustand des Amazonas-Parkes und Angaben verifizieren, daß immer mehr Koka-Bauern illegale Siedlungen in den Wald schlagen. Derweil nimmt der Streit um die Zukunft von TIPNIS im Herzen des Andenlandes kein Ende. Umweltministerin Cintia Silva wies Vorwürfe zurück, die Linksregierung wolle sich an den TIPNIS-Bewohnern für ihren Widerstand gegen den Bau einer Straße durch den Park rächen. »Wenn sie das sagen, ist das pure Verantwortungslosigkeit«, verteidigte Silva jüngst eingeleitete Maßnahmen zum strikten Schutz des Amazonas-Gebietes im Herzen des Andenlandes. Überraschenderweise hat die Aufhebung von Umweltlizenzen an Tourismusfirmen und von Holzschlag-Konzessionen zwecks Überprüfung einen neuen Sturm der Entrüstung gegen die Morales-Administration entfacht.

Damit gibt es im TIPNIS-Konflikt eine erstaunliche Wende. Nach zwei turbulenten Protestmonaten gegen das »Messer aus Asphalt« durch die grüne Lunge Boliviens hatte Staatschef Morales den Forderungen der rund 1000 Demonstranten des »Indigenen Protestmarsches zur Verteidigung von TIPNIS« in allen Punkten nachgegeben. Die Straße ist »für immer Geschichte«, so Morales auch am Mittwoch. Ende Oktober hatte der Chef der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) das Riesengebiet von der Größe Jamaikas zur »unberührbaren Zone« erklärt. Das umstrittene Teilstück II, das mit einem 415-Millionen-Dollarkredit der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES finanziert wird, wurde für immer auf Eis gelegt. Experten arbeiten derzeit unter Hochdruck an einer Alternativroute für die unverzichtbare Verbindung zwischen Hoch- und Tiefland.

Der »Fall TIPNIS« hat viel Staub aufgewirbelt. Der Schutz des artenreichen Paradieses mit seinen 5500 Bewohnern steht nun ganz oben auf der politischen Agenda, der Druck der Straße auf die Regierung war ein Erfolg. Außerdem sind Befürchtungen von Umweltaktivisten, Ölfirmen wie ­PDVSA aus Venezuela und Brasiliens Petrobras würden in dem artenreichen Paradies neue Vorkommen erkunden und stünden kurz vor Bohrungen, zunächst vom Tisch.

Der jüngste Aufschrei einiger TIPNIS-Protestler hinterläßt derweil einen unangenehmen Eindruck. Pedro Vare, Funktionär einer der Interessenverbände im TIPNIS, greift das Verbot von Tourismus und Holzwirtschaft als »politische Maßnahmen« scharf an. Es ginge La Paz nicht um Umweltschutz. »Das ist nur Rache«, bringt Vare das »Wohl der indigenen Gemeinden« in Stellung.

Auch Indigene sind Unternehmer. Vier Investoren aus Argentinien und ein Brasilianer haben im TIPNIS eine »Öko-Herberge« gehobenen Standards inklusive Landebahn für Kleinflugzeuge aus dem Boden gestampft. Diese Investition könnte mit dem Morales-Dekret in den Sand gesetzt sein. Ein Wochentrip in den Dschungel kostet Touristen aus den USA und Europa 1000 US-Dollar, ein Riesengeschäft. Auf einer Pressekonferenz mit den Hoteleignern, die laut Regierung weder Angaben über ihre Einnahmen machen noch Steuern zahlen, hob Vare Vorteile für die Indigenen-Gemeinden hervor. »50 Prozent der Einnahmen« würden an vier dieser Kommunen fließen, gab Hotelchef Marcelo Pérez den Menschenfreund. Morales aber will Wort halten. Die mit den TIPNIS-Protestlern ursprünglich vereinbarte Unberührbarkeit des Parkes bedeute »Erhaltung des natürlichen Zustandes«. Weder Staat noch Wirtschaft seien Eingriffe erlaubt, so Morales.

* Aus: junge Welt, 17. November 2011


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