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Alle lieben TIPNIS

Boliviens Präsident Morales akzeptiert Forderungen der Protestler und verbietet Straßenbau in Schutzgebiet

Von Benjamin Beutler *

Mit einem Paukenschlag hat Boliviens Präsident Evo Morales den Konflikt um den Bau einer Straße durch das »Indigene Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« (TIPNIS) für beigelegt erklärt. »Das Thema TIPNIS ist erledigt«, so Morales auf einer Pressekonferenz am Wochenende. Am Montag trat das Parlament, in dem die »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) die Zwei-Drittel-Mehrheit hat, zusammen, um über die Annahme des Präsidialvetos zum endgültigen Aus des umstrittenen 177 Kilometer langen »Teilstücks II« zu beraten. Derweil gingen die Gespräche zwischen Regierung und TIPNIS-Demonstranten in entspannter Atmosphäre in die nächste Runde.

Der Befreiungsschlag durch den MAS-Chef ist ein Erfolg des Indigenen-Protestes gegen den Straßenbau. Rund 1500 TIPNIS-Bewohner hatten sich Mitte August auf den 650-Kilometer-Fußmarsch nach La Paz gemacht, um den Bau zu verhindern. Seit Freitag verhandeln Morales und eine Delegation des Protestmarsches im Palacio Quemado über einen 16-Punkte-Katalog, auf der Plaza Murillo vor dem Regierungspalast haben Aktivisten ihre Zelte aufgeschlagen.

»Alle Punkte wurden gelöst, es gibt Fristen, damit diese auch eingehalten werden«, begrüßte TIPNIS-Vertreter Fernando Vargas am Montag erste Übereinkünfte. Der Waldschützer lobte die Anwesenheit von Morales bei allen Gesprächen. Auch für den nicht vom Präsidenten angeordneten Polizeieinsatz gegen den Protestmarsch hatte sich das Staatsoberhaupt entschuldigt.

Brasiliens Botschafter in La Paz nannte die Morales-Entscheidung eine »versöhnliche Geste«. Als Kreditgeber der Amazonas-Straße im Rahmen des Infrastrukturprogramms IIRSA fordert Brasilia nun eine »Alternative«, die Route sei »von großer Bedeutung für die nationale Integration Boliviens«.

Morales hat ein absolutes Eingriffsverbot in Artikel 3 des von ihm modifizierten TIPNIS-Schutzgesetzes verankert: »Es wird verordnet, daß weder die Straße Villa Tunari–San Ignacio de Moxos noch eine andere das indigene Territorium und den Nationalpark Isiboro Sécure durchquerten.« Artikel 1 erklärt das Gebiet von der Größe Jamaikas zur »unberührbaren Zone«. Im TIPNIS, das von rund 5500 Menschen der Minderheiten der Chimán, Yuracaré und Mojeño-Trinitario bewohnt wird, werden Siedlungen »fremder« Kokabauern aus dem Hochland »falls notwendig mit Intervention der öffentlichen Gewalt umgesiedelt«, setzte Morales als Gewerkschaftschef von Boliviens Kokabauern ein Zeichen staatlicher Ordnungsmacht.

Damit sind die Hauptforderungen des »8. Indigenen Protestmarsches« erfüllt. Vereinbart wurde die Prüfung von Umweltauflagen im Nationalpark Aguaragüe. Hier bohrt die peruanische Petroandina nach Öl. Lecke Förderanlagen hatten schwere Umweltschäden zur Folge. Alle Details des Abkommens sollen nach Verabschiedung des TIPNIS-Schutzgesetztes im Parlament bekanntgegeben werden.

Das Einlenken von Morales kam spät, aber rechtzeitig genug. Das Übereinkommen ist Beleg, wie ernst es der »Regierung der sozialen Bewegungen« mit der Mitbestimmung von unten auch fünf Jahre nach Machtübernahme ist. Der Druck der Straße bleibt im Andenland ein Politfaktor mit Durchschlagskraft. Und er ist nötig. Ende Juni hatte Morales einen Baustopp für die Straße noch kategorisch abgelehnt. »Ob sie wollen oder nicht, wir werden diesen Weg bauen«, wehrte sich Morales gegen »angebliche Verteidiger der Umwelt«.

Schamlos war der Indigenen-Protest von der »weißen Opposition« aus Landbesitzern, Unternehmern und rechten Politikern gekapert worden, die bekannt sind für ihre tiefe Verachtung gegenüber Boliviens Urbevölkerung. Auch Nichtregierungsorganisationen aus dem Ausland wirft La Paz die »Benutzung unserer Brüder« zur »Spaltung der Bolivianer« vor. Mit viel Geld und Personal würde der »erfolgreiche Dialog unseres Präsidenten mit den Vertretern der Indigenen aus dem Tiefland kontaminiert«, warnte César Navarro, Chef des Ministeriums für soziale Bewegungen. Vor den Richterwahlen vom Sonntag vor einer Woche hatten sich Oppositionsparteien den TIPNIS-Protest zu eigen gemacht und gegen Morales und den »Prozeß des Wandels« in Stellung gebracht.

* Aus: junge Welt, 25. Oktober 2011


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