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Generalstreik gegen Morales

Gewaltsame Auseinandersetzungen mit Bolivens Opposition

Von Ben Beutler, Cochabamba *

Der gesellschaftliche Wandel Boliviens bleibt weiterhin hart umkämpft. Während die Opposition am Dienstag in sechs der neun Provinzen des Landes zum Generalstreik aufgerufen hatte, koordinierten die sozialen Bewegungen in Absprache mit der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« künftige Maßnahmen.

Die Regierungsanhänger wollen bis zu 100 000 Bauern und Indígenas in der Stadt Sucre zusammenziehen, dem Sitz der Verfassungsgebenden Versammlung. Diese soll bis zum 14. Dezember eine neue Magna Charta zur legislativen »Neugründung Boliviens« vorlegen, was die konservative Opposition mit allen Mitteln zu verhindern versucht. So kam es jetzt am Tag des »Streiks für die Demokratie« in den beteiligten Provinzen Cochabamba, Tarija, Pando, Beni, Santa Cruz und Chuquisaca zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Streikgegnern.

In der im Osten gelegenen Millionen-Stadt Santa Cruz de la Sierra fuhren mit Stöcken bewaffnete Anhänger der rechtsextremistischen »Jugendunion Santa Cruz« (UJC) durch die Straßen, um mit Gewalt für den Erfolg des Ausstandes zu sorgen. Auf dem wichtigsten Markt der Stadt wurden streikunwillige Händler, darunter auch Frauen, geschlagen, getreten und beleidigt. Man plünderte und zerstörte ihre Stände. Ein vor den Schlägern flüchtender Mann wurde von einem Auto der UJC überfahren, er liegt mit schweren Verletzungen im örtlichen Krankenhaus. Im zentral gelegenen Cochabamba wurde ein TV-Journalist Opfer der Gewalt, er erhielt Schläge ins Gesicht, seine Kamera wurde zerstört.

»Ich drücke meine Empörung gegenüber diesen selbst ernannten Verteidigern der Demokratie aus«, protestierte Minister Alfredo Rada gegen die rücksichtslose Durchsetzung des Streiks. Auf die Komplizenschaft zwischen UJC und dem »Bürgerkomitee Santa Cruz« hinweisend erklärte er: »Ich glaube auch nicht, dass es sich hier um jugendlichen Leichtsinn handelt. All das ist nicht zu rechtfertigen. Hier soll mit Zwang etwas herbeigeführt werden, was nicht mit der Unterstützung der gesamten Bevölkerung rechnen kann.«

Der Streik, ausgerufen von regierungsfeindlichen »Bürger-Komitees«, ist gegen das vermeintlich »autoritäre Regime Morales« gerichtet. Diese nicht vom Volke gewählten Zusammenschlüsse von Unternehmern und Großgrundbesitzern sind zusammen mit den regionalen Präfekten der streikenden Provinzen die derzeit stärksten politischen Gegner der MAS-Regierung unter Präsident Evo Morales.

Der Vorsitzende der wichtigsten Oppositionspartei PODEMOS, Jorge Quiroga, verteidigte die Maßnahme: »Ich bin kein Freund von Streiks, aber ich liebe die Demokratie. Und der Missbrauch, den wir derzeit erleben, muss von allen Bolivianern abgelehnt werden.« Als Begründung für den Streik muss das vor einer Woche eröffnete Verfahren gegen vier Richter des Höchsten Verfassungsgerichtes herhalten, die des Amtsmissbrauchs und der Behinderung öffentlicher Verfahren angeklagt sind. Die Opposition sieht darin ein »antidemokratisches« Vorgehen.

Das Höchste Verfassungsgericht gilt als Verteidiger der bisher herrschenden Eliten, die seit dem Amtsantritt von Evo Morales ihre Macht schwinden sehen. Die derzeit suspendierten Verfassungsrichter erkennen das vom Kongress eingeleitete Verfahren nicht an. Nun wurde ein 48- Stunden-Streik des Justizapparates angekündigt. Angesichts dieser von den Massenmedien begleiteten Offensive beschlossen die wichtigsten sozialen Bewegungen des Landes ihre Mobilisierung. Vizepräsident Álvaro García forderte: »Wir dürfen nicht aufgeben, wir dürfen nicht auf den Betrug der Rechten hereinfallen.«

* Aus: Neues Deutschland, 30. August 2007


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