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Santa Cruz ist "unabhängig"

Staatskrise in Bolivien auf einem neuen Höhepunkt - Rechte Bürgerkomitees rufen eine "autonome Regierung" aus

Von Alexandra Cortés (npl)*

Tausende Demonstranten forderten im bolivianischen Santa Cruz die politische Ablösung der Zentralregierung in La Paz. Die Protestierenden erklärten am vergangenen Freitag den Chef der rechtsgerichteten Bürgerkomitees von Santa Cruz, Ruben Costas, zum Präsidenten einer eigenen Regierung. In einer Ansprache vor seinen Anhängern kündigte Costas für den kommenden Freitag eine Generalversammlung der »Cruceńos« an. Dabei soll die erste »provisorische und autonome Regierung von Santa Cruz« gebildet werden. »Wir stellen ein Viertel der bolivianischen Bevölkerung und zahlen die Hälfte der Steuern«, sagte Costas. Santa Cruz ist die zweitgrößte Stadt des Andenlandes.

Mesa unter Druck

Um die Forderung nach einer eigenen Regierung zu untermauern, übergaben die von den Agroindustriellen und anderen privaten Unternehmern der Region angeführten Bürgerkomitees einer Gruppe von Parlamentariern Listen mit insgesamt 500000 Unterschriften von Bewohnern, von denen die Autonomiebestrebungen angeblich unterstützt werden. Offenbar soll Übergangspräsident Carlos Mesa auf diese Weise zum Rücktritt gezwungen werden. Mesa hatte angesichts der Radikalisierung der Proteste angekündigt, von seinem Posten zurückzutreten, »sollte die Anwendung von Gewalt nötig werden«.

Vor zwei Wochen hatten die Bürgerkomitees »Pro Santa Cruz« mit einer Serie von Protesten gegen die Erhöhung der Kraftstoffpreise begonnen. Gewerkschaften und Studierende des reichsten Departments des Landes schlossen sich den Hungerstreiks und Demonstrationen an. Dann aber änderte sich der Ton auf der Straße, und separatistische Forderungen nahmen zu. Es kam zu handfesten Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Die »Cruceńos« besetzten mehrere staatliche Einrichtungen, darunter den Sitz der Regionalverwaltung von Santa Cruz.

Schon im vergangenen Jahr hatten die Bürgerkomitees von Santa Cruz wiederholt mehr politische und wirtschaftliche Rechte von der Zentralregierung gefordert. Bereits damals hatte Costas angekündigt, man werde die Autonomie wenn nötig »mit Gewalt durchsetzen«. Santa Cruz gilt als wirtschaftliches Zentrum des Landes und Hochburg der weißen Oberschicht.

In einer Rede an die Nation rief Mesa am Samstag zur »Einheit Boliviens« und zum »Respekt der Verfassung« auf. Die Erhöhung der Treibstoffpreise hatte in den vergangenen Wochen nicht nur die separatistischen »Cruceńos« auf den Plan gerufen. Auch die Linkspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS), Indigenaorganisationen, Kokabauern, Gewerkschaften und Nachbarschaftsräte hatten gegen diese Maßnahme der Regierung protestiert. Vereinzelt wurde auch dabei der Rücktritt von Präsident Mesa gefordert.

Distanz zu Separatisten

Nun aber distanzieren sich zahlreiche soziale Organisationen und die Bürgermeister der acht größten Städte Boliviens von der Autonomiebewegung in Santa Cruz. »Wir weisen die separatistischen Absichten zurück, die von antidemokratischen und oligarchischen Kreisen verfolgt werden«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Ein Bündnis von Indigena- und Kleinbauernorganisationen des Departments Santa Cruz warf den »Comites Pro Santa Cruz« vor, »ein Komplott zur Destabilisierung der Demokratie« geschmiedet zu haben. »Diese Gruppen vertreten lediglich die Interessen der Großgrundbesitzer, Bodenspekulanten und transnationalen Erdölkonzerne«, heißt es weiter. Auch Felipe Quispe, Präsident der Vereinigung der Hochlandbauern, konstatierte, die Proteste in Santa Cruz würden von einer »ultrarechten Oligarchie« angeführt.

* Aus: junge Welt, 26. Januar 2005


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