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"Evo Morales wird von der reichen Klasse bekämpft"

Aymara-Organisation will mit einer Schule die indigene Kultur wieder stärken

Die »Asociación Qhana Pukara« aus Bolivien arbeitet für ein indigenes Schul- und Kulturprojekt. ND-Mitarbeiterin Anke Engelmann traf in Erfurt Vertreter dieser indigenen Organisation, die zu einem Kooperationstreffen mit ihren Partnergruppen nach Deutschland gekommen sind. Aus diesem Anlass sprach sie mit Vincenta Mamani Bernabé und Zoilo Yanapa Chambi aus der Stadt El Alto in der Nähe von La Paz.



ND: Die politische Lage in Bolivien ist seit Monaten angespannt. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Zoilo Yanapa Chambi (ZYC): Generell ist die Lage sehr schwierig. Das erste Mal seit fünf Jahrhunderten gibt es einen indigenen Präsidenten. Der wird von der reichen Klasse bekämpft, genießt jedoch sehr viel Unterstützung bei den armen Menschen und unter der indigenen Bevölkerung.

Vincenta Mamani Bernabé (VMB): Wir Indígena, die wir den Großteil der Bevölkerung stellen, unterstützen Evo Morales, weil er zu unseren Gunsten eine Veränderung vorantreibt. Aber die Gegenkräfte im Osten des Landes, die Großgrundbesitzer und Eigentümer der großen Betriebe, arbeiten gegen die Regierung. Die Reichen des Media Luna (Halbmond, der die Tieflandprovinzen umfasst – d. Red.), die die großen Fabriken besitzen, werden niemals einem indigenen Präsidenten zustimmen, weil sie mehrere Jahrhunderte lang regiert haben und diese Macht nicht abgeben wollen. Ein indigener Präsident betrifft sie direkt. Sie wollen ihre Privilegien, die Macht und das Geld nicht verlieren und wollen auch keine gerechte Verteilung des Landes. Das ist der Grund für die Auseinandersetzung zwischen den rechten Präfekten und der indigenen Regierung.

Morales hat direkte Steuereinnahmen aus dem Gasgeschäft, die bisher den ressourcenreichen Provinzen zugute kamen, gekürzt. Das Geld fließt jetzt verstärkt in die ärmeren Regionen, um eine Mindestrente im ganzen Land zu garantieren. Wie bewerten Sie das?

ZYC: Positiv. Die Regierung versucht gerade, die Bodenschätze in staatliche Hand zu überführen, vor allem die Erdöl- und Erdgasvorkommen. Dadurch gibt es mittlerweile wieder mehr Staatseinnahmen und die Älteren und die Kinder haben davon einen Vorteil. Klar ist es nicht viel Geld, aber für die ältere Generation ist es etwas Neues und sehr Gutes. Die Regierung hat angekündigt, den Betrag nach und nach anzuheben.

VMB: Die Rente wurde im Januar eingeführt und umfasst 200 Bolivianos im Monat, das sind etwa 25 Dollar. Das reicht natürlich nicht aus, aber es hilft den älteren Menschen. Die Zahlung heißt »Bonus der Würde« und wird monatlich ausgezahlt. Seit letztem Jahr gibt es auch einen Bonus für Kinder, der wird einmal im Jahr gegeben.

ZYC: Erst gab es die Rente ab 65, jetzt ab 62 Jahre, so dass ich auch Geld bekomme.

Hat Präsident Morales Fehler gemacht?

VMB: Ja. Die sozialen Bewegungen haben ihn bereits kritisiert, weil er viel redet und das, was er ankündigt, nicht immer umsetzt. Dass er jetzt, nach dem letzten Plebiszit, von 67 Prozent des Volkes unterstützt wird, macht Morales noch hochnäsiger. Uns wäre es lieber, wenn er etwas einfacher und bescheidener auftreten, seine Pläne aber energischer durchziehen würde. Einige seiner Mitarbeiter sind zudem sehr arrogant. Auch hätte der Dialog, der zur Zeit zwischen den Präfekten und der Regierung geführt wird, früher beginnen müssen, denn nur, wenn man miteinander spricht, versteht man sich. Erst nach den traurigen Ereignissen ist man ins Gespräch gekommen. Das ist sehr spät. Es gab viele Möglichkeiten, Zusammenstöße zu vermeiden.

Evo Morales gehört wie Sie dem indigenen Volk der Aymara an. Worauf gründet sich Ihre kulturelle Identität?

ZYC: Auf die Philosophie der Aymara. Wir leben in einem Jahrtausend, in dem sich die bisherigen Grundlagen verändern. Die Zeit kommt zurück, in der Mensch, Natur und Kosmos in Einklang leben werden. Das Leben ist nicht nur eine Angelegenheit des Menschen, sondern beruht auf dem Zusammenwirken von Mensch, Kosmos und Natur. Mensch und Natur ändern sich nur gemeinsam.

VMB: Damit das geschieht, müssen wir hart dafür arbeiten. Das geht nicht von allein. Wenn wir Menschen nichts machen, passiert gar nichts. Und nicht nur wir müssen dafür kämpfen, sondern auch ihr in Deutschland.

Welche Anliegen hat Ihre Gruppe?

VMB: Wir sind die Asociación Qhana Pukara, das heißt so viel wie: »Aus sich selbst leuchtende Pyramide«. Wir wollen eine indigene Schule bauen, in der unsere aymarischen Prinzipien und unser aymarisches Wissen weitergegeben werden können. Wir werden lehren und die Schule selbst verwalten. Auf der anderen Seite wollen wir den interkulturellen und politischen Austausch mit unseren Brüdern und Schwestern in Deutschland vom Projekt »Kurmi (Regenbogen)« fortsetzen und vertiefen.

ZYC: Uns ist es wichtig, dass unsere Schule selbst organisiert arbeitet und dort auch andere Projekte angesiedelt sind. Darüber hinaus wollen wir mit unserer Spiritualität, der Bewahrung unserer Kultur und in unserer politischen Arbeit tätig sein. Die Erziehung und Bildung, die jetzt praktiziert werden, zerstören unsere Werte, Sitten und Gebräuche.

VMB: Die Asociación Qhana Pukara konnte bereits ein Grundstück erwerben, aber damit wir dort Gebäude errichten können, brauchen wir Geld. Wir würden uns sehr über Hilfe freuen.

Spendenkonto: biko e.V., Stichwort »Bolivien«. Konto: 100 112 617, BLZ: 820 510 00, Sparkasse Mittelthüringen.
Info: loeffler@rosalux.de

* Aus: Neues Deutschland, 7. Oktober 2008


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