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Ein Satellit für’s Landvolk

Bolivien feiert ersten eigenen Trabanten im All

Von Benjamin Beutler *

"Túpac Katari" soll Bolivien mehr Unabhängigkeit im Telekommunikationsmarkt bringen und den Dörfern Telefon und Fernsehen.

Für Bolivien war es ein großer Schritt. »Ich bin tief berührt. Nie wieder werden wir ohne Kommunikation sein, so wie früher, als wir in Armut und Dunkelheit lebten«, sprach Evo Morales mit reichlich Pathos. Eingepackt in eine dicke Thermojacke und sichtlich aufgewühlt beobachtete Boliviens Präsident am Freitag den Start der chinesischen Trägerrakete LM 3B. Minusgrade und leichter Schneefall am chinesischen Weltraumbahnhof Xichang hatten den mitternächtlichen Abschuss von Boliviens erstem Kommunikationssatelliten kurz vor dem Countdown zu einem Nervenspiel gemacht. Doch um 12.40 Uhr bolivianischer Zeit war es soweit: »Túpac Katari« (TKSAT1) wurde ohne Zwischenfälle in den Orbit geschossen.

Namensgeber ist ein Rebellenführer der Aymara, der 1571 am Ende des größten Bauernaufstands im Kolonialreich gegen die spanischen Eroberer in La Paz gevierteilt wurde. Damals habe er gesagt: »Ich werde millionenfach zurückkehren«, erinnerte Morales nun an den Nationalhelden. »Ich fühle, dass Túpac Katari vom All aus unser Licht sein wird – millionenfach.«

Im heutigen Bolivien bestimmte der Start die Berichterstattung schon seit Tagen. Die regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) hatte in La Paz riesige Bildschirme aufbauen lassen. Auf der Plaza Murillo vor dem Präsidentenpalast wurde der live übertragene Start beim Public Viewing mit Jubel und Applaus gefeiert. Vor Freude über Boliviens Sprung ins All rieben sich nicht nur Tausende Schaulustige die feuchten Augen. Auch Senatspräsidentin Gabriela Montaño und ihrer Kollegin vom Abgeordnetenhaus Betty Tejada kullerten Tränen über die Wangen. Natürlich ist der Satellit auch ein Politikum, Ende 2014 sind Präsidentschaftswahlen. Ex-Präsident Jorge Quiroga verurteilte die »verzichtbaren Luxusausgaben«. Unklar sei, ob diese für »ein so bedürftiges Land« nötig seien. Norma Piérola von der rechtskonservativen Fortschrittspartei Bolivien zog »eine derartige Investition« in Zweifel.

Bolivien ist das achte Land in Südamerika mit eigenem Kommunikationssatelliten. Die südamerikanischen Nationen sind Weltraumzwerge. Spitzenreiter Brasilien nennt elf Satelliten sein Eigen. Die USA betreiben dagegen 990. Russland verfügt sogar über 1390.

Gebaut wurde der bolivianische Fünf-Tonnen-Raumapparat von der China Aerospace Science and Technology Corporation. Die Bodenstationen zur Steuerung sind in El Alto vor den Toren von La Paz, und in der Ortschaft La Guardia im Tieflanddepartamento Santa Cruz. Bedient werden sie von bolivianischen Experten, die in China ausgebildet wurden. Nicht zum ersten Mal hat Peking für einen Auftraggeber aus dem Ausland einen Satelliten gestartet. 302 Millionen US-Dollar musste La Paz für das 28 Meter lange Gerät, vollgestopft mit Hightech und ausgestattet mit ausklappbaren Solarsegeln, auf den Tisch legen.

Seinen Dienst mit 30 Transpondern für Mobilfunk, TV, Radio und Internet wird der Satellit für 15 Jahre antreten. Danach muss ein neuer angeschafft werden. Die Finanzierung stemmen der bolivianische Staat und ein Kredit von Chinas Entwicklungsbank. Doch wird sich die Investition im zweitärmsten Land des Kontinents wohl rasch auszahlen. Denn bisher mussten Staat, Medien und Telekommunikationsfirmen Kanäle für den Datenverkehr teuer bei ausländischen Anbietern anmieten. 20 Millionen US-Dollar werde der Staat im Jahr einsparen, erklärte Boliviens Raumfahrtbehörde ABE.

Zugute kommen soll die Weltraumtechnik vor allem den Bewohnern auf dem Land. In entlegenen Gegenden und schwierigem Gelände geschuldet haben viele Gemeinden weder Telefon, Radio noch Fernsehen. Artikel 20 von Boliviens neuer Verfassung garantiert jedoch erstmals das Recht auf Kommunikation. Mit »Túpac Katari«, der aus einer Höhe von 36 000 Metern das ganze Staatsgebiet abdecken wird, soll diese Lücke jetzt geschlossen werden.

Zwei Bandbreiten sind für Bolivien bestimmt, die dritte Bandbreite für ganz Südamerika. Einnahmen aus Vermietung an Unternehmen und Staaten werden in die Staatskasse fließen. Bald soll ein Erdbeobachtungssatellit für Kartierung, Umwelt- und Wetteranalyse sowie Rohstoffsuche folgen. Sein Name steht schon fest: »Bartolina Sisa« – die gehenkte Ehefrau von »Túpac Katari«. Im All wären sie wieder vereint.

* Aus: neues deutschland, Montag, 23. Dezember 2013


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