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Prügel, Wahlbetrug und Etikettenschwindel

Bolivien: Beim "Autonomie-Referendum" wollen die Gegner des Präsidenten gesiegt haben

Von Benjamin Beutler, Santa Cruz de la Sierra *

Boliviens Opposition hat sich zum Sieger des illegalen Referendums für regionale Selbstbestimmung erklärt. Die sozialistische Regierung bietet nun Verhandlungen an.

In der ostbolivianischen Region Santa Cruz de la Sierra wurde am Sonntag per Volksentscheid über die Annahme eines »Autonomie-Statuts« entschieden. Nach Angaben des Departamentalen Wahlgerichtes Santa Cruz (CED) war auf 85 Prozent der abgegebenen Stimmzettel das »Ja« angekreuzt, die Wähler sprachen sich demnach für eine eigene Landesverfassung aus. Diese soll der Region weitreichende Kompetenzen in solchen Bereichen wie Steuern, Erziehung und Bildung, Polizei sowie bei der Kontrolle über Land und Bodenschätze übertragen. Lediglich 15 Prozent stimmten nach den Angaben mit »Nein« und unterstützten somit die Position der Regierung. Die von der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) getragene Staatsführung hatte die Abstimmung als »illegal und separatistisch« bezeichnet.

Nach Veröffentlichung der CED-Informationen versammelten sich einige Tausend Anhänger der regierungsfeindlichen Regionalverwaltung unter Präfekt Rubén Costas sowie des konservativen »Bürgerkomitees Pro Santa Cruz« unter Führung des Unternehmers und Großgrundbesitzers Branko Marinkovich, um ihren vermeintlichen Sieg gegen die »Diktatur des Zentralismus« zu feiern. »Heute wurde das autonome Bolivien geboren, das würdige und souveräne Bolivien. Lasst uns den Weg in eine neue Republik gehen, hin zu einen wahren Sozialismus«, so Costas. »Dies ist der Beginn eines heroischen Kampfes für die Demokratisierung der Macht.« Marinkovich schwor seine Anhängerschaft anschließend auf einen langen »Kampf eines jeden Einzelnen« zur Verteidigung der Autonomie ein. Zweifellos ist es der Opposition gelungen, ursprüngliche MAS-Forderungen für sich zu nutzen und so zu suggerieren, sie sei die wahre Vertreterin der Bevölkerungsinteressen.

Zeitgleich zum Autonomiereferendum hielt Präsident Evo Morales in der Hauptstadt La Paz eine Rede an die Nation. Darin erklärte er die Abstimmung in Santa Cruz de la Sierra abermals als nicht rechtens. Sein Kabinettschef Alfredo Rada beklagte, das Referendum habe zur »Spaltung des Volkes von Santa Cruz geführt«. Tatsächlich lag die Wahlbeteiligung deutlich niedriger als bei früheren Urnengängen. Von knapp einer Million Wahlberechtigen seien etwa 400 000 nicht in die Wahlbüros gegangen, was Ausdruck ihrer Ablehnung sei. Zusammen mit den 15 Prozent »Nein«-Stimmen wäre somit mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Santa Cruz gegen die »Autonomie der Oligarchen«. Zudem garantiere die neue Verfassung vom Dezember 2007, deren Ratifizierung allerdings noch aussteht, eine Dezentralisierung. Morales rief die gegen ihn arbeitenden Präfekten der Departements Beni, Panda und Tarija, die im Juni ähnliche Referenden planen, dazu auf, eine »Autonomie für die indigenen Völker und Regionen « zu garantieren. Er selbst sei jederzeit zum Dialog bereit.

Doch der Elite im Osten des Landes geht es nicht um Dialog, sondern um das Land, das die Militärdiktatur des bolivianisch-deutschen Generals Hugo Banzer an seine Günstlinge verteilte. Eine kleine Gruppe von Latifundisten, Viehzüchtern und Unternehmern will den mit der Wahl von Evo Morales begonnenen Politikwechsel um jeden Preis stoppen. Dabei wird auch nicht vor Wahlbetrug und Gewalt zurückgeschreckt. Im Armenviertel von Santa Cruz, in dem 300 000 vor allem aus dem Hochland immigrierte Indigene leben, gab es am Wahltag einen Toten und mehr als 25 Schwerverletzte, als Mitglieder der rechtsradikalen »Jugendunion Santa Cruz« mit Baseballschlägern auf Abstimmungsgegner losgingen. Die Bewohner waren auf mehrere Wahlurnen aufmerksam geworden, deren Aufstellen sie verhindern wollten: Die Boxen waren bereits gefüllt mit für das »Ja« angekreuzten Stimmzetteln. Als dies publik gemacht werden sollte, reagierten die Schlägertrupps -- mit ihren »Argumenten«.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2008


"Sie haben einen genau erarbeiteten Plan

Oligarchie der reichen Ostprovinzen Boliviens bereitet die Spaltung der Andenrepublik vor. Ein Gespräch mit Muruchi Poma **

Am Sonntag (4. Mai) gab es in der bolivianischen Ostprovinz Santa Cruz ein Referendum über ein zukünftiges Autonomiestatut. Organsiert wurde es auf Betreiben eines »Bürgerkomitees«. Was ist das für eine Organisation?

Dieses Komitee ist ein Dachverband verschiedener nichtstaatlicher Organisationen in Santa Cruz. Von Anfang an wurde dieses Komitee durch die Groß- und Mittelunternehmer geführt. Später sind andere Gruppen einbezogen worden, etwa Gewerkschaften und Nachbarschaftsorganisationen.

Die Organisatoren des Referendums sprechen von einem Erfolg, Präsident Evo Morales betont dagegen, daß sie nur eine Minderheit der Wähler hinter sich bringen konnten.

Es gibt erste Hochrechnungen. Offenbar haben mehr als 50 Prozent der Wähler nicht für das Autonomiestatut gestimmt. Die andere Seite betont, daß von den Leuten, die am Referendum teilnahmen, etwa 85 oder 86 Prozent mit Ja gestimmt haben. In jedem Fall muß man davon ausgehen, daß knapp die Hälfte der Wähler – also rund eine halbe Million – den Autonomievorschlag unterstützt hat. Santa Cruz hat 2,3 Millionen Einwohner.

Was bedeutet das Ergebnis für die Regierung von Evo Morales - gerade vor dem Hintergrund, daß es auch in anderen Provinzen separatistische Bestrebungen gibt?

Ich glaube, daß die bei künftigen Abstimmungen in anderen Departamentos die Tendenz der Stimmenthaltung zunehmen wird. Die Vertreter der Oligarchie hatten vorausgesagt, daß mehr als 70 Prozent für ihren Entwurf stimmen würden. Das haben sie völlig verfehlt. Was sie vorschlagen – eigene Finanzhoheit und Polizeigewalt –kann man nur in einem anderen Staat durchführen. Das ist der springende Punkt. Sie haben wiederholt gedroht, wenn die bolivianische Regierung die Ergebnisse nicht akzeptiert, gebe es einen Bürgerkrieg. Im Grunde genommen möchten sie sich abtrennen und ihre eigene Republik aufrufen.

Ein großes Problem ist, daß diese Leute die Presse fest in ihren Händen haben. Fast alle Fernsehkanäle sind privat. In Santa Cruz existieren acht private TV-Sender und ein staatlicher Kanal. Und dieser hat lange nicht das technische Potential und die Reichweite der Privaten. Die einzig wirksamen Medien, die den Gegnern der Oligarchie zur Verfügung stehen, sind die Radios auf dem Land. Dort gibt es auch praktisch kaum Unterstützung für die Rechten.

Wie werden diese nach dem Referendum weitermachen?

Ich denke, sie haben einen genau erarbeiteten Plan. 2004 konnten sie durchsetzen, daß die Präfekten der Departamentos gewählt werden. Dies war bereits ein Bruch der Verfassung, nach der sie vom Präsidenten nach bestimmten demokratischen Regeln eingesetzt werden. Mittlerweile haben sie vier Präfekten auf ihrer Seite.

Der zweite Schritt war das Referendum über die Verfassunggebende Versammlung und die künftige Staatsform im Juli 2006. In den Ostprovinzen hat die Mehrheit für die Einführung einer föderalen Staatsstruktur mit regionaler Autonomie gestimmt. Die politischen Führer dort haben sich daraufhin auf den Standpunkt gestellt, La Paz müsse sie einfach anerkennen.

Nun hat die Verfassungsgebende Versammlung den Inhalt dieser Autonomie ausgearbeitet. Aber die Separatisten haben dies nicht anerkannt, sondern ihre eigenen Statute ausgerufen. Darin steht, daß sie das Recht haben, über die Verteilung des Grund und Bodens zu entscheiden. Das war der dritte Schritt. Bei ihrem Referendum vom Sonntag haben sie die Mehrheit der abgegeben Stimmen erreicht. Das war der vierte Schritt. Der Präfekt von Santa Cruz hat nun angekündigt, die kommenden Abstimmungen in den anderen drei Ostprovinzen abzuwarten. Es ist ganz klar, daß es um die Abspaltung von Bolivien geht.

Was kann die Regierung dagegen unternehmen?

Die jüngsten Verstaatlichungen sind der richtige Weg. Staatliche Unternehmen müssen verstärkt Arbeitsplätze schaffen, gerade auch in den abtrünnigen Provinzen. Schließlich müssen die fortschrittlichen Me­dien gestärkt werden. Die Regierung muß in der Lage sein, mit fachkompetenten Kräften Paroli zu bieten. Wenn die Presse in den Händen des politischen Gegners ist, muß man tausendmal vorkauen, bevor man etwas sagt, sonst wird man ausgetrickst. Und schließlich muß die Regierung auch hart bleiben. Wenn die Bevölkerung nicht sieht, daß sie durch den Staat geschützt wird, wird sie ihn auch nicht unterstützen. Der Staat hat das Gewaltmonopol, und das muß jeder in Bolivien fühlen.

Interview: Jörn Boewe

** Dr. Muruchi Poma ist Ökonom und Autor einer Biographie von Evo Morales

Aus: junge Welt, 6. Mai 2008



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