Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

In Santa Cruz

Boliviens Präsident Morales geht auf Rechtskräfte zu. Rede am Nationalfeiertag vor Granden der Tieflandoligarchie

Von Benjamin Beutler *

Es war ein denkwürdiger Moment, als Boliviens linker Staatspräsident Evo Morales am vergangenen Freitag (6. Aug.) vor Parlamentariern, der gesamten Regierungsmannschaft sowie den Granden der bolivianischen Tieflandoligarchie eine Rede hielt. Zum ersten Mal in 185 Jahren republikanischer Unabhängigkeit, die am 6. August mit Militärparaden und Straßenfesten landesweit gefeiert wurde, war die Boomtown und rechte Oppositionshochburg Santa Cruz de la Sierra als Ort der offiziellen Feierlichkeiten ausgewählt worden.

Die »Gesetzgebende Plurinationale Versammlung« (ALP), wie der bolivianischen Kongreß laut der neuen Verfassung heißt, hatte sich im Salón Chiquitano des Expocruz-Messegeländes versammelt, dem Zentrum des mächtigen Agrobusineß. Hier erklärte Morales, daß es auch nach viereinhalb Jahren Amtszeit seiner Regierung »noch immer strukturelle Schwächen im Kampf gegen den Schmuggel, Drogenhandel und bei der Realisierung von Investitionen« gebe.

Die sezessionistische Tieflandoligarchie hatte den »Indio-Diktator« nach seinem Wahlsieg 2005 zur »persona non grata« erklärt. Nun bat der Präsident und Chef der linken MAS (Bewegung zum Sozialismus) um »Vertrauen«. Das geschah nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem Spezialeinheiten der Polizei 2009 das Waffenlager einer ausländischen Terrorzelle ausgehoben hatten. Bis heute ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die aufgeflogene Söldnergruppe um den ungarisch-bolivianischen Veteranen des Kroatien-Kriegs, Eduardo Rosza Flores, und deren Auftraggeber. Diese werden im direkten Umfeld des Präfekten von Santa Cruz, Rubén Costas, und dem Unternehmerbündnis »Komitee Pro Santa Cruz« vermutet.

Am Freitag (6. Aug.) nun hißten Präsident, sein Stellvertreter Álvaro García Linera, Präfekt Costas sowie Bürgermeister Percy Fernández gemeinsam die bolivianische Flagge – ein spektakulärer Morales-Auftritt mit jenen Kräften, die das Andenland im September 2009 mit ihrer Forderung nach eigener Kontrolle von Bodenschätzen, Land und politischer Autonomie an den Rand eines Bürgerkriegs manövriert hatten. »Ich fühle, daß die Konfrontation beendet ist«, erklärte der 50jährige MAS-Chef. Probleme wie Schmuggel und Drogenhandel müßten gemeinsam angegangen werden. Besonders von der angestrebten Industrialisierung des Landes könnten alle profitieren. »Damit wir nicht nur von Mineralien und Gas abhängen«, forderte Morales die »Partner im Inneren« zu mehr Investitionen auf. Er habe kein Verständnis dafür, daß seine »Regierung der Mitte« bei internationalen Entwicklungsbanken wie der Weltbank Klinken putzen müsse: »Wir können unsere großen Projekte selbst finanzieren.«

Das Oppositionslager reagierte umgehend. Das Zugehen von Morales auf die Wirtschaft sei ein Zeichen der Schwäche. »Evo hat gemerkt, daß er mit seinen hetzerischen Reden nicht weiter auf Gewalt setzen kann«, polemisierte die rechte Senatorin Centa Reck. Germán Antelo, Senator der Latifundisten, freute sich: Die »Anerkennung von Fehlern leitet hoffentlich die Etappe der Zusammenarbeit ein«. Der neoliberale ehemalige Senatspräsident Oscar Ortíz erklärte gar, daß der sozialistische Präsident »das produktive Modell von Santa Cruz als ein Beispiel für den Fortschritt« anerkannt habe.

Davon kann sicher nicht die Rede sein. Allerdings verdeutlichte Evo Morales mit seinem Auftritt in Santa Cruz de la Sierra, daß die Regierung bei der Lösung diverser Probleme nicht auf die Wirtschaftselite im eigenen Land verzichten will.

* Aus: junge Welt, 10. August 2010


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage