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Boliviens Rechte probt den Aufstand

Präsident Evo Morales warnt vor Bürgerkrieg und verweist US-Botschafter des Landes

Von Benjamin Beutler *

In Bolivien verschärft sich der Konflikt zwischen sozialistischer Regierung und separatistischen Tiefland-Präfekten. Die Regierung fürchtet einen Staatsstreich.

Boliviens Präsident Evo Morales bleibt nicht tatenlos: Angesichts gewalttätiger Proteste der letzten Tage in den Departamentos Santa Cruz, Beni, Pando, Tarija und Chuquisaca und offener Rebellion gegen die Zentralregierung in La Paz erklärte Morales den Chef der US-Botschaft Phillip Goldberg zur »persona non grata«. Er habe sich aktiv in die inneren Angelegenheiten Boliviens eingemischt, und stehe unter dem Verdacht »gegen die Demokratie zu konspirieren und die Teilung des Landes zu suchen«, so Morales am Mittwoch (10. Sept.).

»Die Pflicht der Regierung ist es, die nationale Einheit zu verteidigen«, begründete der erste indigene Präsident des Kontinents die Ausweisung Goldbergs. Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens verweist ein Präsident einen US-Botschafter des Landes. Goldberg, der in den 90er Jahren wichtige diplomatische Funktionen in Ex-Jugoslawien (Bosnien und Kosovo) innehatte, sei ein »Experte in Sachen Separatismus«. Ein Jahr nach dem Wahlsieg der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) 2005 sei er nach Bolivien entsandt worden, um im oppositionell dominierten Tiefland die regierungsfeindliche Autonomiebewegung zu unterstützen.

Immer wieder hatte sich Goldberg mit den rechten Präfekten getroffen, auch nach dem ausdrücklichen Verbot durch Boliviens Staatschef. »Ich bitte unseren Außenminister, dem Botschafter heute eine Note zu überbringen, damit dieser unmittelbar in sein Land zurückkehrt«, so Morales.

Die MAS-Führung sieht zwischen den Protesten und den diplomatischen Aktivitäten Goldbergs einen engen Zusammenhang. Die Opposition wolle das Land in einen Bürgerkrieg stürzen. Seit Wochenbeginn hatten Stoßtrupps der rechtsradikalen »Jugendunion Santa Cruz« (UJC) und Anhänger der regierungsfeindlichen Präfekturen im ganzen Tiefland damit begonnen, staatliche Institutionen und öffentliche Einrichtungen gewaltsam zu besetzen. Sie erklärten die Umsetzung der departamentalen »Autonomie« und forderten die Kontrolle sämtlicher Behörden. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei und MAS-Sympathisanten. In den letzten Tage wurden über hundert Menschen zum teil schwer verletzt. Die UJCler gelten als gewalttätiger Arm der Präfekturen. In der Vergangenheit waren sie für unzählige rassistisch motivierte Übergriffe auf indigene Bolivianer verantwortlich.

Trotz der Warnung von Präsident Morales, man sei derzeit Zeuge vom »Beginn eines zivilen Staatsstreiches« wurde entgegen der Behauptung der Opposition von der Ausrufung eines Ausnahmezustandes und Verhängung des Kriegsrechts abgesehen. Die Polizei lässt die Autonomiebewegung gewähren und hat die Order, keine scharfen Waffen gegen Randalierer und Plünderer einzusetzen.

Rubén Costas, schärfster Widersacher der »demokratisch-kulturellen Revolution« des MAS, deklarierte die Zerstörung der Büros der Steuerbehörde, des Instituts für Landreform (INRA) und der Büros der Anfang des Jahres verstaatlichten Telekommunikationsunternehmens ENTEL als einen »Akt des Volkes gegen die Diktatur der Regierung«. Es beginne in Santa Cruz der »wahre Sozialismus«, sagte Rubén Costas. Die sozialen Bewegungen kündigten derweil Widerstand an und bereiten die Einkesselung von Santa Cruz vor.

* Aus: Neues Deutschland, 12. September 2008

Morales wehrt sich

Von Martin Ling **

Es gehört zu den wohl ältesten Bonmots Lateinamerikas: Warum kann es in den USA keinen Staatsstreich geben? Weil es dort keine US-Botschaft gibt. Einen Tag vor dem 35.Jahrestag des Putsches gegen Salvador Allende hat Boliviens Präsident Evo Morales den US-Botschafter Philip Goldberg des Landes verwiesen. Es dürfte weniger der Blick in die Geschichtsbücher als das aktuelle Geschehen gewesen sein, das ihn zu diesem Schritt veranlasste. Goldberg hatte sich am 24. August mit Rubén Costas getroffen, seines Zeichens Gouverneur von Santa Cruz und Wortführer der so genannten Autonomisten, die alles versuchen, um die von Morales geplante Neugründung Boliviens zu unterminieren.

Dass Morales beim Referendum über sein Amt erst am 10.August für sein Projekt wiederum 67 Prozent Zustimmung bei 80 Prozent Wahlbeteiligung erhalten hat, interessiert sie nicht. Es geht schließlich nicht um Demokratie, sondern um handfeste Interessen. Die Oligarchie soll im Zuge der Verfassunggebenden Versammlung zugunsten der indigenen Bevölkerungsmehrheit entmachtet werden. Dagegen läuft sie Sturm. Vor zwei Wochen verhängte die erdölreiche Tieflandregion Chaco eine unbefristete Blockade. Ihre Forderung: Rücknahme der Gewinnkürzungen, die der Aufstockung der Renten dienen. Seitdem -- kurz nach dem Treffen Goldberg-Costas -- weiten sich die Proteste im Tiefland aus, inklusive Anschläge auf Gaspipelines. Weil Morales an den Wahlurnen nicht beizukommen ist, schüren die Rechten die Unsicherheit, um ihn Zug um Zug bei der Bevölkerung als unfähig zu diskreditieren. Morales' Botschafterentlassung zeigt, dass sich der Präsident mit gewaltlosen Mitteln wehrt.

** Aus: Neues Deutschland, 12. September 2008 (Kommentar)



Rechte probt den Putsch

Boliviens Präsident Evo Morales reagiert auf die zunehmende Gewalt der rechten Opposition und verweist den US-Botschafter des Landes

Von Benjamin Beutler ***


Der erste indigene Präsident Boliviens hat am Mittwoch auf die seit Wochenbeginn aufflammenden Proteste gegen die regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) reagiert. »Ohne Angst vor niemandem, ohne Angst vor dem Imperium erkläre ich Herrn Goldberg, den Botschafter der Vereinigten Staaten, zur persona non grata«, verkündete Evo Morales im Regierungspalast »Palacio Quemado« von La Paz. Goldberg stehe unter dringendem Verdacht, seine Botschaft unterstütze die regierungsfeindlichen Präfekten der Tieflandregionen in ihrem Versuch, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Philip Goldberg, seit Oktober 2006 oberster US-Vertreter im Andenland und in den 90er Jahren Diplomat in Bosnien und Kosovo, sei ein »Experte im Anheizen separatistischer Konflikte«, der »vor allem die Teilung Boliviens sucht«, so Morales, der nach seiner Erklärung die nötigen Schritte zur Ausweisung Goldbergs anordnete. Damit wurde zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens ein US-Botschafter zur unerwünschten Person erklärt. Immer wieder hatte ihm Morales aktive Einmischung in die Innenpolitik des Landes vorgeworfen.

Tatsächlich hatte sich Goldberg trotz Verbotes wiederholt mit den Präfekten der von der Opposition kontrollierten Departamentos Santa Cruz, Beni, Pando, Tarija und Chuquisaca getroffen, angeblich, um unter Ausschluß der Öffentlichkeit »im Rahmen gewöhnlicher Konsultationen« zu beraten. Unmittelbar danach brach in den Tieflandregionen Boliviens die Gewalt aus. In dieser Woche nun kam es zur Besetzung zentralstaatlicher Institutionen, Flughäfen, Gaspipelines und Straßen durch Anhänger der Opposition. Einer der schärfsten Morales-Gegner und Vorsitzende des rechtskonservativen »Bürgerkomitee Pro Santa Cruz«, Branko Marinkovich, war Tage zuvor in die USA gereist. Er sei »mit Geld zurückgekommen, um die gezielten Mobilisierungen in den Hauptstädten der Tieflanddepartamentos bezahlen zu können«, so MAS-Abgeordneter René Martínez. Die aktuelle Konfrontation sei »eine faschistoide Reaktion« der Rechten, deren »Macht sich allein auf die Städte beschränkt, wo sie ein Klima der Gewalt schaffen wollen«, erklärt MAS-Fraktionschef César Navarro. Die MAS-Regierung ließ verlautbaren, es sei ein »Staatsstreich« im Gange.

Die Lage spitzt sich unterdessen weiter zu. Bei Auseinandersetzungen zwischen MAS-Sympathisanten und Anhängern der rechtsradikalen »Jugendunion Santa Cruz« (UJC) wurden am Donnerstag landesweit über 100 Verletzte gemeldet. In der Opposi­tionshochburg Santa Cruz besetzten Regierungsgegner sämtliche zentralstaatliche Behörden. Zu größeren Auseinandersetzungen kam es beim Versuch, den wichtigsten Busbahnhof der Stadt zu kontrollieren, was MAS-Anhänger zu verhindern suchten. UJCler hatten einen Tag zuvor an verschiedenen Stellen der Stadt Feuer gelegt, es brannten die Räume einer regierungsfreundlichen Stiftung und des staatlichen TV-Senders Kanal 7. UJC-Führer David Sejas kündigt an, seine Leute würden die mit Gewalt besetzten und teils zerstörten Institutionen wie die staatliche Steuerbehörde, Telefonzentrale oder das Büro für Landreform nicht eher verlassen, bis sie der »Regierung von Santa Cruz« übergeben seien. Überall im Tiefland wurden zentrale Märkte, zum großen Teil von MAS-Anhängern betrieben, aus Angst vor Plünderern geschlossen.

MAS-Kabinettschef Ramon Quintana verurteilte das Vorgehen der Rechten: »Sie greifen die Demokratie in ihren Grundfesten an, reißen die verfassungsrechtliche Ordnung nieder«. Antonio Franco, Großgrundbesitzer und Chef der Abgeordneten von Podemos, der Nachfolgepartei des deutschstämmigen Exdiktators Hugo Banzer, begrüßte den inszenierten Aufstand. Podemos-Parlamentarier Oscar Urenda rief offen zur Gewalt auf: »Wir sind stark genug, um das Land zu teilen. Wenn ich einen Knüppel, eine Peitsche, eine Waffe habe, dann werde ich sie benutzen, um mein Territorium zu verteidigen«.

*** Aus: junge Welt, 12. September 2008


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