Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Putschversuch in Bolivien?

Interview mit Nardi Suxo Iturri


Nardi Suxo Iturri ist Boliviens Ministerin für Korruptionsbekämpfung.


nd: Meuternde Polizisten, die Plünderung der Geheimdienstzentrale und die Besetzung von Polizeistationen im ganzen Land haben in Bolivien für Umsturzängste gesorgt. War es wirklich ein Putschversuch?

Suxo Iturri: Wir gehen vom Versuch eines Staatsstreichs aus. Eine soziale Forderung nach mehr Gehalt - die wir unterstützen und gerechtfertigt finden - wurde politisiert. Den Polizeiaufstand haben Gruppen ausgenutzt, die früher selbst in Regierungsverantwortung waren, sich aber nie für die Polizisten eingesetzt haben. Viele ehemalige Minister und Abgeordnete der neoliberalen Regierung unter Gonzalo Sánchez de Lozada (1993-97 sowie 2002/2003) arbeiten heute für Zeitungen und Medien als »Journalisten«. Oder sie sind »Experten« für politische Stiftungen mit Auslandsfinanzierung. Sie verbreiten übertriebene oder falsche Behauptungen über die Lage im Land. Keine Regierung hätte sich je für die Polizisten eingesetzt, lautete der Vorwurf während der Meuterei. Die Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) lege die Hände in den Schoß. Warum haben diese Leute in ihrer Amtszeit nichts getan? Als am Mittwoch der Konflikt längst beigelegt war, ignorierten Presse und Fernsehen die friedliche Lösung. Stattdessen berichteten sie, der Aufstand gehe mit aller Kraft weiter. Was wird damit bezweckt? Ein klarer Versuch, Präsident Evo Morales zu stürzen.

Vizepräsident Álvaro García Linera brachte den Polizeiaufstand mit einem Protestmarsch in Verbindung. Die Gegner des Straßenbaus durch das Amazonas-Schutzgebiet TIPNIS standen just vor La Paz, als die Polizisten in der Stadt für Chaos sorgten. Linera vermutete dahinter einen Masterplan »dunkler Kräfte ...

Die schnelle Lösung am Verhandlungstisch hat diesen Plan scheitern lassen. Als der Marsch am Mittwoch im Stadtzentrum ankam, war die Polizei wieder im Einsatz. Dass die Demonstranten nicht auf die Plaza Murillo vor dem Präsidentenpalast gelassen wurden, ist gut. Sicher hätte es Ausschreitungen gegeben, wäre die Meuterei nicht kurz davor beendet gewesen. Polizeiprotest und die Ankunft der TIPNIS-Marschierer in der Hauptstadt sollten auf einen Tag fallen.

Warum sind die TIPNIS-Demonstranten gegen Morales?

Die TIPNIS-Gruppe wird von Leuten der Opposition unterstützt. Darauf haben wir oft hingewiesen. Viel Geld für den Marsch kommt von der Ehefrau von Juan de Granado, dem Bürgermeister von La Paz. Seine Frau ist heute Abgeordnete, die MAS hatte sie aufgestellt. Dann hat sie das Lager gewechselt. Sie hat selbst zugegeben, dass sie Geld für den TIPNIS-Marsch sammelt.

Wie geht es mit den Polizisten weiter?

Forderungen nach mehr Gehalt wurden erfüllt. Die Polizei gilt in der Bevölkerung als korrupteste Institution. Das neue Disziplinarrecht sieht bei Ermittlungen gegen Staatsdiener die Aussetzung von Gehaltszahlungen vor, ein wichtiges Druckmittel. Davor war dies nicht der Fall. Bei Ermittlungen, die so gut wie immer im Sande verliefen, weil sie von Kollegen durchgeführt wurden, kam das Gehalt weiter. Künftig wird eine unabhängige, externe Einheit disziplinarrechtlich ermitteln. Auch die Vergabe von Führerscheinen und Personalausweisen ist ausgegliedert. Hier gibt es viel Bestechung, ranghohe Staatsdiener verdienen mit. Die Reform hat in der Polizei für großen Unmut gesorgt.

Fragen: Benjamin Beutler

* Aus: neues deutschland, Samstag, 30. Juni 2012


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage