Morales sieht sich gestärkt
Teile der bolivianischen Opposition laufen zur Regierung über
Von Benjamin Beutler *
Boliviens rechte Tiefland-Opposition hat einen Strategiewechsel
vollzogen. Kurz vor den allgemeinen Wahlen am 6. Dezember haben
Hardliner aus dem östlichen Departamento Santa Cruz de la Sierra dem
Konfrontationskurs mit der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS)
abgeschworen.
Es sind ganz neue und gänzlich ungewohnte Töne: Man wolle die
Blockadepolitik beenden uns sich konstruktiv am »Prozess des Wandels«
beteiligen, wie ihn Präsident Evo Morales proklamiert hat, hieß es
zuletzt aus der mächtigen Kammer für Industrie, Handel und Tourismus
Santa Cruz (CAINCO). Seit Morales' Wahlsieg 2005 war das
Unternehmerbündnis zusammen mit dem Bürgerkomitee Pro Santa Cruz und der
örtlichen Präfektur Triebkraft des regionalen Unabhängigkeitsstrebens.
Deren Schlägertruppe Jugendunion Santa Cruz (UJC) droht nun die
Auflösung. Die UJC hatte beim gescheiterten Putschversuch im September
2008 MAS-Anhänger und Indigene durch die Straßen der Stadt gejagt und
staatliche Institutionen gebrandschatzt. Man sei »getäuscht« und als
»Sicherheitsfirma« für »die Interessen einiger Weniger« missbraucht
worden, erklärte UJC-Chef Ariel Rivera letzte Woche seinen
überraschenden Rücktritt. Lieber wolle man künftig die Sozialisten in La
Paz unterstützen.
Gegen mehrere inhaftierte UCJ-Mitglieder wird wegen Landfriedensbruch
und Terrorismus ermittelt. Viele prominente Anhänger von Morales-Gegner
Rubén Costas, dem Präfekten von Santa Cruz, kündigen diesem ihre Treue.
»Es geht um meine berufliche Zukunft«, begründete Präfektur-Chefideologe
Jorge Aldunate seine Kündigung. Selbst Costas' Leibwächter baut vor und
hängt seinen Job an den Nagel. Von ehemaligen Kumpanen als »Verräter«
und »MAS-Agenten« beschimpft, schwören die Überläufer nun auf die
»demokratisch-kulturelle Revolution«. Die MAS sei schließlich bald
»stärkste Kraft in Santa Cruz«, erläutert Aldunate seinen Schwenk
opportunistisch.
Wie die Regierungspartei mit den Überläufern umzugehen hat, bleibt
kontrovers. »Der Prozess des Wandels ist offen für jeden«, erklärte
Morales. Der Gegner habe sich dem MAS »ergeben«, interpretiert
Vizepräsident Álvaro García Linera den Seitenwechsel. Doch warnen
Beobachter vor einem Ansehensverlust der »Regierung der sozialen
Bewegungen«. Verleibe man sich rechte Berufspolitiker ein, bestehe die
Gefahr, den diskreditierten traditionellen Parteien immer mehr zu
ähneln. Doch der MAS scheint der Zweck die Mittel zu heiligen. Es gehe
»allein darum, Stimmen zu sammeln«, meint Isaac Ávalos, Chef der
Landarbeiter-Gewerkschaft CSUTCB.
Die sezessionistische Autonomie-Bewegung als Sammelbecken diverser
Morales-Gegner befindet sich derweil im freien Fall. Streitigkeiten
verhinderten die Bildung einer schlagkräftigen Einheitsfront für
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Jüngste Umfragen sehen Morales
und Linera bei 56 Prozent Zustimmung. Auch in Kongress und
Abgeordnetenhaus ist erstmals eine absolute MAS-Mehrheit wahrscheinlich.
Morales darf sich bestärkt fühlen.
* Aus: Neues Deutschland, 4. November 2009
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