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"Vom Imperialismus gekidnappt"

Boliviens Präsident Evo Morales am Flughafen Wien notgelandet

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Nach 13 Stunden unfreiwilligen Aufenthalts am Flughafen Wien-Schwechat konnte Boliviens Präsident Evo Morales Mittwochmittag sein Flugzeug besteigen und in die Heimat weiterreisen. Damit ging ein Irrflug zu Ende, der von Paris und Lissabon erzwungen worden war, weil Frankreich und Portugal in letzter Sekunde Überflugrechte für die Präsidentenmaschine verweigert hatten. Der diplomatische Eklat war Teil der hektischen Suche Washingtons nach dem Whistleblower Edward Snowden, den die USA im Flugzeug vermuteten.

Es war eine lange und hektische Nacht am Flughafen Wien. Journalisten und Politiker strömten herbei, als ruchbar wurde, dass Boliviens Präsidentenmaschine mit Evo Morales an Bord zur Zwischenlandung in Österreich gezwungen worden war. Den Tabubruch im internationalen Luftverkehr hatte Frankreich zu verantworten, die Regie im Hintergrund führten wohl die USA.

Die Maschine mit Evo Morales, der von einer internationalen Konferenz gasfördernder Staaten in Moskau kam, hatte sich bereits kurz vor französischem Luftraum befunden, als ihr die Pariser Flugsicherung die Überfluggenehmigung versagte. Portugal tat es seinem NATO-Partner gleich, Spanien folgte wenig später. Wien bot sich als Notlandeplatz an.

Am frühen Morgen eilte Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer zu seinem gestrandeten bolivianischen Amtskollegen in den VIP-Transitbereich des Flughafens. Vor einer eilig einberufenen Pressekonferenz sah man die beiden in freundschaftlicher Atmosphäre plaudern. Morales bezeichnete dann gegenüber den anwesenden Journalisten seine Situation als »Geiselhaft« und verurteilte die gegen ihn gerichtete Aktion der NATO-Staaten als »kolonialistische Attitüde«. Schon zuvor hatte der bolivianische Verteidigungsminister Ruben Saavedra, der mit dem Präsidenten unterwegs war, in einer Erklärung von einem »feindlichen Akt der USA, die europäische Regierungen missbrauchten«, gesprochen. Und Vizepräsident Álvaro García Linera kommentierte das »Skyjacking« von Bolivien aus mit den Worten, Morales sei »vom Imperialismus gekidnappt« worden.

Empörung über den einmaligen Vorfall in der jüngeren Luftfahrtgeschichte war auch von höchsten Amtsträgern Argentiniens, Ecuadors, Venezuelas und Kubas zu vernehmen; Paris, Lissabon und Madrid indes schwiegen, die USA taten unbeteiligt.

Unklarheit herrschte bis zuletzt, ob und in welcher Form die bolivianische Präsidentenmaschine in Wien inspiziert worden ist. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP), der spät und sichtbar unwillig zum Flugplatz gekommen war, bejahte eine diesbezügliche journalistische Anfrage und betonte, dass die »Nachschau« mit dem Einverständnis bolivianischer Stellen passiert sei. Evo Morales indes verneinte die Frage nach einer Inspektion. Sein Verteidigungsminister bestritt heftig, dass sich Edward Snowden im Flugzeug befinden würde. Die Gerüchteküche war voll in Betrieb. Bis zuletzt unklar blieb auch, ob Snowden überhaupt einen Asylantrag bei bolivianischen Stellen eingebracht hatte.

Österreichs Offizielle verhielten sich, für dieses Mal, vergleichsweise vorbildlich. Der Umgang sowohl mit der bolivianischen Maschine im Irrflug wie auch mit dem politisch notgelandeten Präsidenten erinnerte daran, dass das Land formal einen neutralen Status aufweist. Während Länder wie Portugal, Spanien und offensichtlich auch Frankreich auf Zuruf Washingtons internationale Rechte und völkerrechtliche Standards von einer Minute auf die andere außer Kraft setzten, blieb Wien davon weitgehend unbeeindruckt.

Aufforderungen der Grünen, Snowden doch in Österreich Asyl zu gewähren, schmetterte Innenministerin Maria Fekter allerdings mit einem fadenscheinigen Argument ab. Ein solcher Antrag, meinte sie, könne überhaupt nur behandelt werden, wenn ihn der ehemalige US-Gemeindienstmitarbeiter von österreichischem Territorium aus stellen würde. Wie das funktionieren soll, bleibt angesichts der Massivität, mit der die USA diplomatisch wüten und Druck auf ihre NATO-Partner ausüben, dahingestellt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. Juli 2013


Empörung in Lateinamerika

Regionalbündnis UNASUR kommt zu Sondersitzung zusammen / USA als Drahtzieher vermutet

Von Harald Neuber **


Mit der erzwungenen Zwischenlandung des bolivianischen Präsidenten in Wien stehen die lateinamerikanischen und karibischen Staaten wieder einmal im Zentrum der Affäre um den US-amerikanischen Geheimdienst-Enthüller Edward Snowden.

Aus den Staaten südlich der USA hagelte es am Mittwoch Kritik. Spitzenpolitiker des südamerikanischen Staatenbundes UNASUR bestätigten die Einberufung einer Sondersitzung zu dem Zwischenfall. Die außerplanmäßige Konferenz des Zwölf-Staaten-Bündnisses wurde von Ecuadors Präsidenten Rafael Correa und seinem peruanischen Amtskollegen Ollanta Humala bekannt gegeben. Humala hat derzeit die Präsidentschaft der UNASUR inne. Correa hatte seiner Wut zuvor bereits über den Kurznachrichtendienst Twitter Ausdruck verliehen. »Unsere Solidarität gilt Evo Morales und dem mutigen bolivianischen Volk«, schrieb er. »Unser Amerika« – der Ausdruck steht für die lateinamerikanische und karibische Gemeinschaft – »kann einen solchen Missbrauch nicht dulden.« Wer sich mit Bolivien anlege, bekomme es mit allen Ländern der Region zu tun.

Parallel zu Correa äußerte sich Außenminister Ricardo Patiño. Die Verweigerung des Überflugrechtes für die Präsidentenmaschine durch EU-Staaten sei eine »ungeheure Beleidigung«, sagte er auf einer Pressekonferenz in Quito. Offenbar lasse sich auch die EU von einer »paranoiden Reaktion« auf die Veröffentlichungen Snowdens über globale Spionageprogramme der USA und Großbritanniens leiten. Ecuador prüft derzeit den Asylantrag des 30-jährigen Snowden. 2012 hatte die Regierung in Quito bereits dem Mitbegründer des Enthüllungsportals Wikileaks, Julian Assange, Asyl gewährt. Assange sitzt seither in der Botschaft Ecuadors in London fest.

UNASUR-Generalsekretär Ali Rodríguez Araque aus Venezuela bezeichnete das Vorgehen gegen Morales als »entwürdigend und absurd«. Man könne nicht zur Tagesordnung übergehen, als wäre nichts geschehen. »Das Absurde ist, dass es sich gerade bei Frankreich um ein Opfer der Politik handelt, die Snowden enthüllt hat«, sagte Rodríguez Araque. Statt gegen die USA vorzugehen, handele die Pariser Regierung gegen Bolivien.

Ebenfalls über Twitter meldete sich Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández. »Bleiben wir ruhig, damit werden sie nicht durchkommen«, schrieb sie. Kubas Außenministerium kritisierte das Vorgehen mehrerer EU-Staaten als »willkürlich«. Die Aktion richte sich »gegen ganz Lateinamerika und die Karibik«, heißt es in der Erklärung aus Havanna. Venezuelas Außenminister Elías Jaua beschuldigte indes offen die US-Regierung, hinter dem »Attentat« auf Boliviens Präsidenten zu stehen. Die verantwortlichen EU-Staaten hätten die Immunität des Staatschefs verletzt. »Wir machen die USA und alle beteiligten Staaten für diesen Übergriff verantwortlich.«

Selbst der Generalsekretär der US-dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, protestierte. Er sei »sehr verärgert«, sagte der Chilene: »Diese ungemein respektlose Aktion gegen den höchsten Repräsentanten eines Landes ist durch nichts zu rechtfertigen.«

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. Juli 2013


Frankreich "bedauert" Probleme für Morales

Scharfe Kritik aus Russland ***

Frankreich hat die vorübergehende Sperrung des Luftraums für die Maschine des bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales bedauert. Außenminister Laurent Fabius habe seinem bolivianischen Kollegen David Choquehuanca telefonisch sein Bedauern über die Verzögerung bei der Ausstellung der Flugerlaubnis ausgedrückt, teilte das Ministerium in Paris mit. Es habe Verwirrung über den Eigentümer der Maschine gegeben, hieß es. Selbstverständlich habe nie die Absicht bestanden, der Präsidentenmaschine den Zugang zum französischen Luftraum zu verweigern. Morales sei stets willkommen in Frankreich.

Am Mittwoch war es zu einem diplomatischen Eklat gekommen, weil Boliviens Staatschef auf dem Flug von Moskau in die Heimat einen unfreiwilligen Zwischenstopp in Wien einlegen musste. Nach Angaben Boliviens hatten mehrere europäische Staaten die Überflugrechte verweigert. Offenbar hatte es Hinweise gegeben, wonach der von den USA gesuchte frühere Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden an Bord der Maschine sein könne. Erst nach 13 Stunden konnte Morales wieder starten.

Russland hat die Sperrung des Luftraums von EU-Staaten für die Präsidentenmaschine scharf kritisiert. »Das Vorgehen der Führungen Frankreichs, Portugals und Spaniens kann schwer als freundlicher Akt gegen Bolivien wie auch gegen Russland gewertet werden«, teilte das Außenministerium in Moskau am Donnerstag mit. Die Sperrung »hätte zu einer Gefahr für die Sicherheit der Passagiere, darunter das Oberhaupt eines souveränen Staats, werden können«. Bolivien warf den USA vor, hinter der Verweigerung zu stehen. Ein Auslieferungsgesuch für Snowden wies das bolivianische Außenministerium als »bizarr, rechtlich unbegründet und unüblich« zurück, da der Gesuchte sich nicht auf bolivianischem Boden befinde.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 5. Juli 2013


Luftpiraten gegen Evo

Flugverbotszone Europa: Jagd auf Edward Snowden. Frankreich, Spanien, Portugal und Italien sperren Luftraum für Boliviens Präsidenten Morales. Kein Asyl für Whistleblower in Deutschland

Von André Scheer ****


Die hysterische Jagd auf den Enthüller der massenhaften Überwachung von Kommunikationsverbindungen in Europa durch die USA und Großbritannien nimmt immer bizarrere Züge an. In der Nacht zum Mittwoch verweigerten Frankreich, Spanien, Portugal und Italien offenbar auf Druck Washingtons dem Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales die Überflugrechte, so daß es in Wien notlanden mußte. Morales war auf dem Heimweg aus Moskau, wo er am Gipfeltreffen der erdgasexportierenden Länder teilgenommen hatte. Grund für diesen Akt der Luftpiraterie war ein Gerücht, Edward Snowden befinde sich an Bord. Erst nach einem 13stündigen Zwangsaufenthalt konnte Morales am Mittwoch mittag seine Reise fortsetzen. Offenbar auf österreichische Vermittlung hin hatten die vier Staaten ihren Luftraum wieder freigegeben. Unklar blieb, ob zuvor Grenzbeamte die Maschine betreten hatten. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger erklärte, Bolivien habe eine »freiwillige Nachschau« gestattet, Morales dementierte das.

Inzwischen behaupten zumindest Paris und Madrid, es habe ein Überflugverbot nie gegeben. »Nachdem es kaum logische Gründe gibt, warum die bolivianische Regierung die Verbote hätte erfinden sollen, wirft das ein mehr als schiefes Licht auf die Länder«, kommentierte dies der Österreichische Rundfunk, ORF. Zuvor hatte Spaniens Botschafter in Wien, Alberto Carnero, für einen zusätzlichen Eklat gesorgt, als er im Stil eines Kolonialbeamten verlangt hatte, von Morales in dessen Maschine zu einem Kaffee eingeladen zu werden. Der bolivianische Präsident zeigte sich empört und erinnerte an die Immunität und Unverletzlichkeit der Regierungsmaschine.

Edward Snowden, der sich nach Angaben russischer Journalisten am Mittwoch noch immer am Moskauer Flughafen Scheremetjewo aufhielt, hatte in einem von der Enthüllungsplattform Wikileaks in der Nacht zum Dienstag veröffentlichten Schreiben vorweggenommen: »Das sind die alten, üblen Werkzeuge politischer Aggression. Ihr Zweck ist es, einzuschüchtern – nicht mich, sondern jene, die mir nachfolgen mögen.«

Offensichtlich verfehlen die Werkzeuge ihren Zweck nicht. Zahlreiche Regierungen, vor allem in Europa, sind unter dem Druck der USA bereits eingeknickt und verweigern Snowden Asyl. Auch die Bundesregierung lehnte am Dienstag abend das bei der deutschen Botschaft in Moskau eingereichte Ersuchen ab. Am Mittwoch bekräftigte Außenminister Guido Westerwelle (FDP), es lägen keine Voraussetzungen für eine Aufnahme in Deutschland vor. Der 30jährige sei in keiner humanitären Notlage: »Zum einen befindet sich Herr Snowden in Rußland. Und Rußland hat ihm nach unserer Kenntnis auch ein Bleiberecht dort angeboten. Zum anderen sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein Rechtsstaat mit parlamentarischer Kontrolle und einer unabhängigen Justiz.« Das sorgte für Empörung bei der Opposition. »Edward Snowden hat der weltweiten Öffentlichkeit und der Verteidigung des Völkerrechts mit seinen Enthüllungen einen Dienst erwiesen und braucht deshalb internationalen Schutz vor der US-Hetzjagd«, erklärte die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Hänsel. Die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Katharina Nocun, sagte, sie schäme sich für diese Regierung: »Die Demokraten in unseren Parlamenten und Ministerien haben nichts Besseres zu tun, als die eigene fehlende Courage hinter den Formalia des Asylrechts zu verstecken.«

**** Aus: junge Welt, Donnerstag, 4. Juli 2013


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