"Mutter-Erde-Gesetz" in Bolivien
Neues Umweltrecht verbietet Emissionshandel, Wasserprivatisierung und Gentech-Saatgut
Von Benjamin Beutler *
Energieversorgung mit Sonne, Wasser
und Wind, kein internationaler Emissionshandel,
keine Privatisierung von
Wasser, keine Ausweitung der Agrargrenze,
Verbot von Biosprit und Gentechnik-
Saatgut sowie Reduktion von
Monokulturen und Landkonzentration
– Boliviens neues Umweltrecht liest
sich wie ein Wunschzettel linker Naturschützer.
Mitte Oktober unterzeichnete Boliviens
Präsident Evo Morales das
»Gesetz über Mutter Erde und
ganzheitliche Entwicklung für Gutes
Leben«. »Wenn es keine Natur
gibt, wenn sie Schaden genommen
hat, dann gibt es weder Leben
noch Menschheit«, so der Chef
der »Bewegung zum Sozialismus«
(MAS), der 2014 wieder für das
Präsidentenamt kandidieren will.
Das erste Umweltrecht überhaupt
in der Geschichte des Zehn-Millionen-
Einwohnerlandes zwischen
Anden und Amazonas sei »ein
Vorschlag für ein Leben im Gleichgewicht
und in Ergänzung mit der
Mutter Erde«, erklärte der Sohn
einfacher Hirten im Palacio Quemado.
Schrittweise soll die Entwicklung
von Landwirtschaft, Bergbau
und Gasexporten auf neue Füße
gestellt werden. »Das Gesetz hat
das Ziel, Visionen und Grundlagen
für eine ganzheitliche Entwicklung
in Harmonie und Gleichgewicht
mit der Mutter Erde als
Zwischenschritt hin zum Gut Leben
einzurichten«, wird in der
Präambel versprochen. Weniger
Entwicklung nach westlichem
Vorbild, mehr indigene Vorstellungen
vom »Vivir Bien«, mehr
Staat und Öffentlichkeit im Umweltschutz.
Federführend wird das
neue »Ministerium zum Schutz der
Mutter Erde«.
Die Umweltnovelle soll auch
das angeschlagene Image der
MAS-Regierung aufpolieren. Für
schlechte Presse hatte der Konflikt
mit Umweltorganisationen
und Indigenen um den Bau einer
Straße durch den TIPNIS-Naturpark
gesorgt. Gegner des Infrastrukturprojekts
hatten Morales
als Umweltsünder und »Neo-Extraktivsten
« gebrandmarkt.
Diesen Vorwurf lässt die Regierung
nicht gelten. »Auf unsere
Wälder werden wir achtgeben,
nicht die Gringos«, schießt Vizepräsident
Álvaro García Linera
gegen »grünen Kapitalismus«. Und
er behauptet, mit viel Geld und
Personal ausgestattete Nichtregierungsorganisationen
aus den
USA und Europa würden Bolivien
und Lateinamerika insgesamt für
eigene Interessen benutzen. Emissionshandel
degradiere die Latinos
zu »Parkwächtern«. Energieriesen
aus den USA »nehmen Umweltorganisationen
unter Vertrag,
investieren fünf Millionen US-Dollar,
machen aber Gewinne bis 150
Millionen Dollar«, stellt sich Linera
gegen eine »Aneignung des
Amazonas«. 2011 etwa hatte der
spanische Ölkonzern Repsol mit
Guaraní-Indigenen aus dem Amazonas-
Tiefland ein Abkommen
über Waldschutz geschlossen, an
der Zentralregierung vorbei.
Bei der Agrarlobby macht sich
Entsetzen breit. 99 Prozent der
Sojaproduktion basiere auf gentechnisch
veränderten Kulturen,
sorgt sich der Dachverband der
Soja- und Sonnenblumenbauern,
ANAPO. Das Aus für Biosprit sei
ein Schlag gegen das Tiefland,
verdächtigt die Landwirtschaftskammer
CAO die Regierung in La
Paz. Die habe damit eine »Lizenz
zum Töten« ausgestellt, malt auch
Gary Antonio Rodríguez, Chef der
Außenhandelskammer IBCE, den
Teufel des wirtschaftlichen Niedergangs
an die Wand.
* Aus: neues deutschland, Montag, 05. November 2012
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