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Dekrete gegen die Multis

Boliviens Präsident Evo Morales verstaatlicht Energieunternehmen und sieht sich Lohnforderungen im öffentlichen Dienst gegenüber

Von Benjamin Beutler *

Am 1. und 2. Mai hat Boliviens Präsident Evo Morales mit zwei neuen Verstaatlichungsdekreten die Kontrolle seiner Regierung über einst privatisierte Unternehmen weiter verstärkt. (Siehe jW vom 3. Mai) Nachdem der Regierungschef am Sonnabend die Rückverstaatlichung dreier Elektrizitätsunternehmen angeordnet hatte, folgte einen Tag später die Übernahme der Metallschmelze Vinto Antimonio wegen »unzureichender Investitionen«. Regierungsminister Óscar Coca teilte bei einer Pressekonferenz mit, daß sich die Anlage in einem »Prozeß des Verfalls« befunden habe. »Aus diesem Grund wird diese Fabrik ab sofort in das Eigentum des Staates Bolivien überführt«, so Coca am Sonntag. Das enteignete Unternehmen Sinchi Wayra, eine Tochter des Schweizer Bergbauriesen Glencore, stehe dem nationalen Interesse entgegen, die Rohstoffe Boliviens selbst zu verarbeiten, erklärte der Minister.

Einen Tag zuvor hatte Morales die Stromerzeuger Corani, Guaracachi und Valle Hermoso sowie den Stromnetzbetreiber Empresa de Luz y Fuerza de Cochabamba (ELFEC) in staatliche Hand übernommen. Damit kontrolliere Bolivien nun 80 Prozent der Verteilung und Herstellung elektrischer Energie im Land, erklärte der Staatschef. Die Sicherung von Grundbedürfnissen der Bevölkerung wie Strom und Wasser dürfe nicht Objekt »privater Geschäfte« sein.

Die neoliberale Privatisierungspolitik von Expräsident Gonzalo Sánchez de Lozada in den 90er Jahren, der heute als reichster Bolivianer im US-amerikanischen Exil lebt, hatte dazu geführt, daß die damals staatliche Energiefirma Empresa Nacional de Electrificación (ENDE) an Multis aus Frankreich, Großbritannien und Spanien verkauft wurde. So befand sich Corani zu 50 Prozent im Besitz der französischen GDF Suez, Guaracachi gehörte zur Hälfte der britischen Rurelec PLC. Die spanische Gruppe Bilbao Viscaya Argentinaria hielt die Hälfte des Aktienpaketes von Valle Hermoso. Während sich die ausländischen Multis mit dem Rückkauf der Aktien und Entschädigungen in Millionenhöhe zufriedengaben, gestaltete sich die Übernahme des Stromnetzbetreibers ELFEC nicht reibungslos. Dessen Mitarbeiter hielten 40 Prozent der Anteile und weigerten sich, diese zu verkaufen. Am Samstag besetzten darum starke Polizeikräfte die Verwaltungszentrale in der Großstadt Cochabamba.

Auch die Demonstrationen und Kundgebungen zum 1. Mai waren in diesem Jahr nicht konfliktfrei verlaufen. In Sucre, Santa Cruz, El Alto und Cochabamba demonstrierten mehrere tausend Arbeiter für höhere Löhne. Dazu aufgerufen hatte der Gewerkschaftsbund COB, der die von der Regierung vorgeschlagene Lohnerhöhung um fünf Prozent als »miserabel und lächerlich« ablehnte. COB-Funktionär Pedro Montes forderte eine realistische Analyse der Kosten für Lebensmittel, Kleidung, Gesundheit und Bildung. Davor waren schon Angestellte der Textilindustrie, die eine Lohnerhöhung um zwölf Prozent fordern, sowie aus dem Gesundheitssystem, die 26 Prozent mehr wollen, auf die Straße gegangen. Selbst die Beamten der nationalen Polizei streiten für 25 Prozent mehr Gehalt. La Paz lehnt diese Forderungen jedoch als überzogen und nicht bezahlbar ab.

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2010


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