Lohnkampf in Bolivien
Streit zwischen Regierung und Gewerkschaften geht weiter
Von Benjamin Beutler *
Nachdem die bolivianische Regierung der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) am Mittwoch die Löhne im öffentlichen Dienst per Dekret Nr. 809 um zehn Prozent und den nationalen Mindestlohn um 20 Prozent angehoben hatte, regt sich bei Gewerkschaften und Opposition Widerstand. Die Führung der mächtigen »Arbeiterzentrale Boliviens« (COB) zeigte sich von der unangekündigten Entscheidung »überrascht«. Am Verhandlungstisch habe die Regierung »nicht den Mut gehabt, diese Prozentzahlen zu nennen«, ärgerte sich ein wütender COB-Präsident Pedro Montes. Auch der Lehrerverband La Paz lehnt die Lohnerhöhung als »lächerlich« ab. Am Freitag gab die COB-Führung nach einer eilig einberufenen Generalversammlung bekannt, man werde Anregungen zu Protestmaßnahmen »an die Basis weitergeben«. Die Bedingung für neue Gespräche sei die »Annullierung von Dekret Nr. 809«, reden wolle man allein mit Präsident Evo Morales.
Die Regierung habe mit taktischem Kalkül gehandelt, so der Vorwurf. Die Regenfluten im Tiefland und die Notsituation nach dem gigantischen Erdrutsch in der Hauptstadt La Paz ausnutzend, wolle der MAS kurz vor den Karnevalsfeiern »an den Gewerkschaften vorbei regieren«. Noch am vergangenen Dienstag hatte sich die Regierung mit COB-Vertretern zusammengesetzt; nach deren 24stündigem Generalstreik vor einer Woche gegen die hohen Lebenshaltungskosten sollte ein weiterer Ausstand vermieden werden.
Arbeitsminister Félix Rojas weist die Kritik als »unberechtigt« zurück. In den Verhandlungen sei es zu keinem Zeitpunkt um den Mindestlohn gegangen, so Rojas am Donnerstag in einer Pressekonferenz. »Wir haben über keine Zahlen geredet, sondern allein um die Höhe des Familien-Warenkorbes, bei dem die Gewerkschaften 839,50 Bolivianos fordern«, wunderte sich der Arbeitsminister über die heftige Reaktion. Warenkorb sei nicht gleich Mindestlohn. Auf Grundlage der »canasta familiar« hätten die Ministerien die Lohnerhöhungen berechnet, erklärte Rojas. Das am Mittwoch verabschiedete Dekret sieht zehn Prozent mehr Gehalt für Krankenhauspersonal, Lehrer, Polizei und Streitkräfte vor. Für die Angestellten anderer Sektoren des öffentlichen Dienstes in Staatsbetrieben, Behörden und Verwaltung kündigte der Arbeitsminister die rasche Verabschiedung einer »weiteren Norm zu gegebenem Zeitpunkt« an. Der Staat ist in dem Andenland der größte Arbeitgeber, rund 288000 Menschen erhalten ihren Lohn aus öffentlichen Mitteln.
Für die Privatwirtschaft hat La Paz die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns um 20 Prozent angeordnet. Dieser steigt von monatlich 679,35 auf 815,40 Bolivianos (82,50 Euro). Dekret Nr. 809 fordert außerdem zu Lohnverhandlungen zwischen Unternehmern und Beschäftigten auf. Eine Erhöhung um zehn Prozent habe darum »obligatorischen Charakter«, so Rojas. Damit stößt der MAS auch bei den Firmenchefs auf Widerstand. Die Maßnahme erhöhe die Inflation und werde zu Entlassungen führen, äußerte sich der »Verband Privater Unternehmer Boliviens« (CEPB). Um dies zu verhindern, kündigte das Arbeitsministerium »permanente Kontrollen« an.
Die Morales-Administration setzt auf eine Politik der steigenden Löhne. Seit Regierungsbeginn wurde der Mindestlohn im Jahresrhythmus angehoben: 2006 von 440 auf 500 Bolivianos (14 Prozent), im Jahr darauf auf 525 Bolivianos (fünf Prozent), 2008 dann auf 577,50 Bolivianos (zehn Prozent). Im Jahr der Weltwirtschaftskrise 2009 wurde nachträglich der Inflationsausgleich von zwölf Prozent auf den Mindestlohn aufgeschlagen, der darauf auf 674 Bolivianos anstieg. 2010 gab es eine letzte kleine Erhöhung auf 679,50.
* Aus: junge Welt, 7. März 2011
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