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Rohstoffpoker in der Andenrepublik

Um das Alkalimetall Lithium ist ein wahrer "Goldrausch" ausgebrochen / Bolivien knüpft Bedingungen an den Abbau

Von Benjamin Beutler *

Wie so oft in seiner Geschichte ist das südamerikanische Land Bolivien wegen seiner Bodenschätze ins Blickfeld rohstoffhungriger Industrienationen geraten. Begehrlichkeiten geweckt haben diesmal die weltweit größten Lithiumvorkommen.

In der traditionell auf den Export seiner immensen Bodenschätze, wie Silber, Eisenerz und Erdgas orientierten Andennation gibt es ein neues Spekulationsobjekt -- Lithium. Zeitungsberichten zufolge sei die nach Haiti zweitärmste Volkswirtschaft Lateinamerikas das »Dubai der Zukunft«, ein »Saudi-Arabien des Lithiums«. Im vom sozialistischen Präsidenten Evo Morales regierten Bolivien finden sich im an der Süd-Westgrenze zu Chile gelegenen Salzsee »Salar de Uyuni« geschätzte 5,4 Millionen Tonnen in Salzstein gebundenes Lithium, was mehr als die Hälfte der weltweiten Reserven dieses Alkalimetalls ausmacht.

Ausgelöst wurde die jetzt um sich greifende Goldrauschstimmung durch die für die kommenden Jahre erwartete Nachfrageexplosion von Lithium. Bisher wurde es vor allem in kleinen Mengen für Antidepressiva und in der Rüstungstechnik verwendet. Doch die Lithium-Technik hat mittlerweile enorme Fortschritte gemacht. Autoexperten und Ingenieure sind sich einig: Die herkömmliche Nickel-Methallhybrid-Batterie hat endgültig ihre Bedeutung verloren, wenn in den Zentren der Automobilindustrie über alternative Antriebsmöglichkeiten zum Verbrennungsmotor nachgedacht wird.

Die Nickel-Batterie, zu finden in Fernbedienungen, Kameras, elektrischen Zahnbürsten und Lampen wegen besserer Eigenschaften in Leistung, Umweltverträglichkeit und Kontrollierbarkeit, ersetzte einst den Nickel-Cadmium-Energiespeicher und wurde auch für Elektro- und Hybridautos eingesetzt. Doch die für hohe Leistungen wenig geeignete Technologie gilt heute als veraltet und wird vom neuen Star am Himmel der Batterieforschung verdrängt: Der Lithium-Ionen-Batterie. Diese treibt seit längerem Handys und Notebooks an.

Der Entwicklungssprung in der Lithium-Batterie-Forschung hat die großen Automobilkonzerne jetzt bewogen, sie für den Motor-antrieb in hoher Stückzahl einzusetzen. Die Vorteile des Lithium-akkus: Er ist leichter, leistungsfähiger, verfügt über mehr Speicherkraft und kann schneller ge- und entladen werden. So macht er den Traum vom massenhaft industriell gefertigten Elektroauto realistisch.

Darum verwundert es nicht, wenn Großunternehmen wie der südkoreanische Chemiegigant LG Chem, die französische Bolloré und die japanischen Konzerne Mitsubishi und Sumitomo in Boliviens Hauptstadt La Paz Schlange stehen, um sich die Förderlizenzen zu sichern. Aber in Bolivien weht nicht mehr der neoliberale Wind bedingungsloser Investitionszusagen. Schon bei der Verstaatlichung der Gas- und Ölindustrie 2006 gab Präsident Morales die Richtlinie: »Wir suchen Partner -- keine Chefs« aus. Investitionen und Lizenzen werden verknüpft mit Garantien, die Industrialisierung des Landes voranzutreiben und Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen.

So verpflichtete sich 2007 der indische Stahlriese Jindal Steel, der die Eisenerzmine »El Mutún« ausbeutet, zum Bau eines Stahlwerkes. Bolloré, Mitsubishi und Sumitomo hingegen haben nur den Lithium-Export in Aussicht gestellt. »Niemand hat bisher die Industrialisierung vorgeschlagen, obwohl wir alle wissen, dass dies die Grundlage für jede Verhandlung ist«, erklärt Boliviens Bergbauminister Freddy Beltrán die bisherige Zurückhaltung der Regierung. Am Wochenende besuchte Morales Russland, heute reist er nach Paris weiter. Erst danach werde man »in konkretere Verhandlungen eintreten«, so Beltrán.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2009


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