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Keine dummen Bauern

Lithiumvorräte Boliviens wecken Begehrlichkeiten der internationalen Konzerne. Indigene Bevölkerung will ein gewichtiges Wort bei deren Ausbeutung mitreden

Von Nick Kaiser *

Die Krise zeigt Wirkung. Auf der Suche nach Kraftstoffalternativen richtet sich die Aufmerksamkeit der globalen Automobilindustrie zunehmend auf die Herstellung von Hybrid- und Elektroautos. Damit wächst die Bedeutung eines Rohstoffes, der bislang vornehmlich in Nuklearwaffen und Beruhigungsmedikamenten gebraucht wurde: Lithium. Als Bestandteil von Batterien ist das Alkalimetall vor allem bei der Vermarktung umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge wertvoll, da es weniger wiegt als sein Konkurrent Nickel und einem Elektroauto daher ermöglicht, mehr Energie zu speichern, sprich: länger am Stück zu fahren. Einen Nachteil hat das Lithium aber auch für die internationalen Automobilkonzerne: Es befindet sich zu einem großen Teil in Bolivien.

Schatz unter Salzkruste

Genauer gesagt lagern die weltweit größten Vorräte an Lithiumcarbonat unter der Oberfläche des Salar de Uyuni – des größten Salzsees der Welt, der allerdings bei geringem Niederschlag zu einer Salzwüste austrocknet. Er liegt im Südwesten des ärmsten süd­amerikanischen Landes. Hier leben Quechua sprechende Indigene vom Verkauf des Salzes, das sie vom Boden kratzen, zu kegelförmigen Haufen formen und auf den Rücken von Lamas in die Städte transportieren. Diese Menschen könnten nun von der kürzlich per Volksabstimmung verabschiedeten neuen Verfassung ihres Landes profitieren. Die sieht vor, daß indigene Gruppen über die Rohstoffe in den von ihnen bewohnten Gebieten bestimmen können. Die Stärkung ihrer Rechte ist eines der größten Anliegen der Regierung von Präsident Evo Morales, der selber indigener Herkunft ist.

Die staatliche Bergbaubehörde Comibol baut seit kurzem am Rande des Sees in der Provinz Uyuni die erste große Anlage zur Förderung und Verarbeitung des Lithiums. Sie soll bis Ende des Jahres fertiggestellt werden. Die finanziellen Möglichkeiten sind knapp, auch weil Venezuela, dessen Präsident Hugo Chavez engster Freund und Förderer von Morales ist, unter dramatisch gesunkenen Ölpreisen zu leiden hat. Trotzdem entsenden internationale Konzerne bislang vergebens ihre Vertreter in die bolivianische Hauptstadt La Paz. Nachdem er bereits die Öl- und Gasindustrien seines Landes verstaatlicht hat und ausländische Firmen höchstens noch als Juniorpartner billigt, denkt Morales nicht daran, beim Lithium anders zu verfahren. Zudem sind sich die indigenen Bewohner der Region um die Salzwüste ihrer neuen, gestärkten Position durchaus bewußt. »Wir sind zwar arm, aber keine dummen Bauern«, sagte Francisco Quisbert, Chef der Frutcas, einer Vereinigung indigener Arbeiter in der südlichen Hochebene Boliviens, der New York Times. »Bolivien mag das Lithium besitzen, aber uns gehört es auch.«

Mit mindestens 5,4 Millionen Tonnen verfügt Bolivien über fast die Hälfte des weltweiten Gesamtvorkommens des Metalls. Andere große Lithiumproduzenten sind Chile, Australien und China. »Wenn wir aber eine gewichtige Rolle spielen wollen bei der nächsten Generation von Autos und den Batterien, die sie antreiben, müssen wir hier sein«, sagte Oji Baba, einer der Leiter der Abteilung für Grundmetalle von Mitsubishi, in La Paz. Der Einschätzung einiger Geologen zufolge könnten die für Elektroautos und andere Geräte benötigten Lithium-Ionen-Batterien jahrzentelang aus bolivianischem Metall hergestellt werden. »Wir wissen, daß Bolivien das Saudi-Arabien des Lithiums werden kann«, so Francisco Quisbert von der Frutcas.

Teure Investition

Dazu muß die Förderung und Verarbeitung des wertvollen Metalls allerdings vorankommen. Es scheint fraglich, ob Bolivien ohne Investitionen von außen den Bedarf der internationalen Automobilindustrie stillen kann. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verhinderte eine nationalistische Bewegung die Ausbeutung des Lithiums durch die US-amerikanische Firma Lithco. Seitdem schlummern die immensen Vorräte ungenutzt unter dem trockenen Salzsee. Bolivien muß nun nicht nur seine finanziellen Zwänge überwinden, sondern auch den Zeitdruck, denn die Nachfrage nach Lithiumcarbonat ist groß, und es besteht die Möglichkeit, daß ein anderer Weg gefunden wird, es herzustellen. Dies sind die Argumente der europäischen und japanischen Konzerne, die in der Hoffnung auf große Geschäfte bei Morales anklopfen.

Saúl Villegas, Leiter der Lithium-Abteilung von Comibol, setzt dem allerdings entgegen: »Das vorherige imperialistische Modell der Ausbeutung unserer Rohstoffe wird sich in Bolivien nie wiederholen«.

* Aus: junge Welt, 5. Februar 2009


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