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La Paz’ Landreform führt zu Sorgen in Brasilia

Nach Venezuela hat auch Bolivien eine Bodenreform begonnen. Konflikte mit Großgrundbesitzern und dem Nachbarland Brasilien

Von Timo Berger*

Der bolivianische Präsident Evo Morales kündigte am vergangenen Wochenende in der Stadt Santa Cruz den Beginn einer »Revolution der Landwirtschaft« an. Seine Regierung will in einem ersten Schritt staatliches Land und in einem zweiten Schritt nicht bewirtschaftete Flächen in Privateigentum an Kleinbauern und indigene Gemeinschaften verteilen. 4,5 Millionen Hektar sollen sofort, elf bis 14 Millionen Hektar später folgen.

Vor allem im Osten des Landes, in der reichen Provinz Santa Cruz, stieß die Ankündigung Morales wie zu erwarten auf Widerstand der örtlichen Großgrundbesitzer. Bis zu 70 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen von mehr als 100 Millionen Hektar befinden sich dort in Händen einiger weniger Fami-lien. Dies erklärte Landwirtschaftsminister Hugo Salvatierra gegenüber der bolivianischen Nachrichtenagentur Bolpress bereits Ende Mai.

Aber auch in Brasilien, das an die Provinz Santa Cruz grenzt, wurde der Beginn der Landreform sehr kritisch kommentiert. Als im Mai durchsickerte, daß Morales eine solche Maßnahme plant, zeigte sich die Regierung im Nachbarland »besorgt« über den damit möglicherweise verbundenen »Bruch von Gesetzen und Verträgen«. Seit der Wiederverstaatlichung der Energiereserven am 1. Mai ist dies bereits die zweite Maßnahme der Regierung Morales, die sich auch gegen die wirtschaftlichen Interessen Brasiliens richtet. Brasilianische Großgrundbesitzer sind verantwortlich für die Hälfte der Sojaproduktion in der Region, was 35 Prozent der landesweiten Produktion in Bolivien entspricht. Nach dem Erdgas ist Soja der Hauptexportartikel Boli-viens. Vor allem in der Grenzregion erfolgt die Bewirtschaftung der Flächen auf illegale Weise.

Der bolivianische Präsident wählte Santa Cruz bewußt, um vor einer Versammlung von Indigenen und Bauern Landtitel zu überreichen und den Plan für seine Agrarreform zu erklären. So werden 2,5 Millionen Hektar Land aus Staatseigentum sofort an Bauern in Santa Cruz verteilt. Weiteres Land soll in den Provinzen im Norden – Pado und Beni – den Besitzer wechseln. Bis zum Ende seiner Amtszeit 2011 möchte Morales an die 20 Millionen Hektar Land umverteilt wissen. Zur Zeit sind viele dieser Ländereien seit Jahren den Latifundien von Großgrundbesitzern eingegliedert, die diese Flächen als ihr Eigentum betrachten.

In seiner Rede betonte Morales mit Nachdruck, daß es sich bei diesem Land jedoch um Staatseigentum handle und deshalb die Entscheidung nicht verhandelbar sei. Auch warf er den Großgrundbesitzern vor, einseitig den Dialog abgebrochen zu haben. Am Freitag vergangener Woche hatten sich die Vertreter der Latifundistas aus Verhandlungen über die Agrarreform auf unbestimmte Zeit zurückgezogen.

Morales kündigte an, daß im Lauf der Agrarreform diejenige Ländereien in Privatbesitz, die keine wirtschaftlich-gesellschaftliche Funktion erfüllen, enteignet werden würden. »Ich möchte die Unternehmer darauf aufmerksam machen, daß die Rückgabe von nichtproduktivem Land der zweite Schritt dieser Reform sein wird«, sagte er.

* Aus: junge Welt, 8. Juni 2006


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