Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Evo Morales hält Kurs

Plebiszit über die neue Verfassung beendet formal die Neugründung

Von Benjamin Beutler *

4,1 Millionen Bolivianer sind am 25. Januar an die Urnen gerufen, um über die Annahme einer neuen Verfassung zu entscheiden. Es gibt kaum Zweifel, dass der dritte Schritt der Neugründung Boliviens erfolgreich verlaufen wird.

Evo Morales sieht sich kurz vor einem wichtigen Etappenziel: »Wir wollen eine große Mehrheit erreichen für ein vereintes Bolivien mit Autonomien. Mit dieser neuen Verfassung werden wir die letzte Etappe zur Neugründung Boliviens abschließen: für einen neuen Staat der Gleichheit und der Perspektiven für alle Männer und Frauen«, erklärte Boliviens Präsident.

Morales befindet sich derzeit auf Werbetour für die neue Verfassung. Auf einer Veranstaltung im östlichen Tiefland-Departamento Santa Cruz de la Sierra hob er die im neuen Grundgesetz garantierte Dezentralisierung hervor. Die konservative Opposition unter Führung der Gebietspräfekten von Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando hatte sich die Autonomie-Forderung seit dem Wahlsieg der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) 2006 auf die Fahnen geschrieben, um den Rückhalt der MAS in der Bevölkerung aufzubrechen. »Sie lehnen eine Verfassung ab, die mit 80 oder 85 Prozent aller Stimmen gewinnen wird«, verwies Morales auf die große Zustimmung für das Projekt.

Im Gegensatz zur rechten Opposition, die ihre Massenveranstaltungen vor einer riesigen Christus- Figur abhält, erläuterte Lateinamerikas erster indigener Staatspräsident die Vorzüge der neuen Verfassung vor der stadtbekannten »Chiriguano-Statue«, dem bronzenen Abbild eines Guaraní- Indigenen. »Zum ersten Mal in der bolivianischen Geschichte wird eine Verfassung, die unter schwierigsten Bedingungen ausgearbeitet wurde, dem Volk zur Abstimmung vorgelegt«. Der im Dezember 2007 vom Verfassungskonvent verabschiedete und im Oktober 2008 im Nationalkongress modifizierte Verfassungstext garantiere unter anderem »die Menschenrechte, das Recht auf Leben, anerkennt die Rechte der ursprünglichen Völker des Landes, schützt das Privateigentum und sorgt für die Neuverteilung des Landes«, hob Morales den vereinenden Charakter des neuen Grundgesetzes hervor.

Boliviens Präsident reagierte damit vor allem auf Vorwürfe der Opposition, die dem Land im Falle der Inkraftsetzung düstere Zeiten voraussagt: Es werde keine Religionsfreiheit geben, Privateigentum wie Fernseher, Häuser und Autos würden enteignet, Privatschulen würden geschlossen werden, die Pressefreiheit beendet.

Bei der Verbreitung derartiger Fehlinformationen kann die Rechte weiterhin mit den dominierenden Privatmedien rechnen. Erst vor kurzem trafen sich ausgerechnet die für den September-Putsch verantwortlichen Tiefland-Präfekten zum »Gebet für den Frieden«. Beim damaligen »Massaker von Pando« waren 18 MAS-Anhänger von Präfekturangestellten ermordet worden. Ein ranghoher Bischof rief vor laufenden Kameras zur »Verteidigung des Glaubens« und zur Ablehnung der Verfassung auf. Im Departamento Beni tauchten zudem tausende gefälschte Ausgaben der neuen Verfassung auf.

Mit verstärktem Widerstand rechnet die MAS hingegen erst nach einem erfolgreichen Referendum. Die Strategie gegen eine mögliche Blockade im Kongress gab Morales schon jetzt bekannt. Er werde die »Stimme des bolivianischen Volkes per Präsidialdekret einführen«. Dies entspreche ganz dem »Weg in den MAS-Totalitarismus«, die »Demokratie ist in Gefahr« warnte daraufhin der ultrarechte Tiefland-Politiker Carlos Dabdoub, ehemaliger Präsident des Unternehmerbundes Cainco.

Dass Bolivien meilenweit von einer Diktatur entfernt ist, zeigen Stimmen internationaler Beobachter. So lobte die gleichnamige Stiftung des früheren USA-Präsidenten Jimmy Carter die Stärkung der Demokratie: »In punkto Bürgerbeteiligung durchlebt Bolivien einen tief greifenden Prozess.« Auch die EU-Kommission, die den Wahlgang mit über 50 Beobachtern überwachen wird, hob den demokratischen Charakter der Abstimmung hervor. Am 25. Januar werde es keine Verlierer geben, sagte EU-Missionschefin Renate Weber. Das bolivianische Volk als Ganzes sei der »große Gewinner des Wahlkampfes um das Verfassungsreferendum«.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2009


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage