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Selbstbedienung beendet

Bolivien: Neues Autonomiegesetz sieht Suspendierung korrupter Präfekten vor

Von Benjamin Beutler *

Mit Verfahrenstricks hat die Opposition in Bolivien versucht, das Inkrafttreten eines am Sonntag mit der absoluten Mehrheit der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS) verabschiedeten »Übergangsgesetzes für Autonomie« hinauszuzögern. Am Montag (24. Mai) hatten einige Abgeordnete der Oppositionsparteien die Wiedervorlage der bereits beschlossenen Vorlage beantragt, um sie »noch einmal überdenken« zu können. Damit verhinderten sie zunächst die Unterzeichnung des Gesetzes durch Präsident Evo Morales. Noch am selben Tag verwarf jedoch die Parlamentsmehrheit diesen Vorstoß der Opposition mit Verweis auf die fehlende Zweidrittelmehrheit, die für eine Wiedervorlage notwendig gewesen wäre. Morales unterzeichnete daraufhin noch am späten Montagabend (24. Mai) das Gesetz.

Nach der Annahme der neuen Verfassung im Januar 2009 regelt das Gesetz die politische und administrative Neuordnung der Kommunen, Regionen und Departamentos in dem Andenstaat. »Wer nichts gestohlen hat und dies auch nicht vorhat, sollte glücklich sein«, kommentierte Morales den Widerstand der konservativen Präfekten Rubén Costas aus Santa Cruz, Ernesto Suárez aus Beni und Mario Cossío aus Tarija gegen Passagen des Gesetzes, wonach Amtsträger in Zukunft vorübergehend ihrer Funktionen enthoben werden können, wenn gegen sie Ermittlungen wegen Veruntreuung von Steuergeldern und »unökonomischen Verhaltens« laufen. Liegt nach einer »abgeschlossenen Ermittlung« eine »formale Anklage« vor, muß der Angeklagte demnach während der »gesamten Prozeßdauer« sein Amt ruhen lassen.

Die bei den Regionalwahlen Anfang April im Tiefland wiedergewählten Morales-Gegner Costas, Cossío und Suárez lehnten das Gesetz postwendend als »totalitären Akt« ab, Costas beschimpfte Boliviens Staatschef sogar als »Affen« und »Mörder-Exzellenz«. Gegen die drei seit 2005 amtierenden Präfekten ermittelt die Staatsanwaltschaft in mehreren Fällen, z.T. wurde Anklage erhoben. Dabei geht es um veruntreute Steuereinnahmen aus den Erdölrenten, die nach der Nationalisierung der Energieressourcen durch die MAS-Regierung seit Mai 2006 in nie dagewesenen Mengen auch in Richtung Präfekturen sprudeln. Doch statt in die Entwicklung vor Ort investiert zu werden, floß das Geld in den Kauf von überteuerten Luxusautos, politische Kampagnen gegen die Zentralregierung oder blieb schlicht ungenutzt.

Darum wundert es wenig, daß mit dem neuen juristischen Instrument alte Gräben neu aufgerissen werden. »Die Straflosigkeit ist beendet«, jubelte Parlamentspräsident Héctor Arce (MAS) am Sonntag. Jeder »Dieb« habe erstmalig das Gesetz gegen sich, sagte auch Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera. Die Tiefland-Präfekten kündigten hingegen für diese Woche Proteste und Demonstrationen an. Morales wolle auch die letzten drei oppositionellen Departamentos unter seine Kontrolle bringen. Für Linera ist das jedoch nicht mehr als eine »Polit-Show«, Unschuldige hätten schließlich nichts zu befürchten. »Es ist schon seltsam, daß sich von 337 Bürgermeistern keiner beschwert. Von neun Präfekten sind sechs für die Maßnahme, und nur drei von ihnen stellen sich quer«, so der Vizepräsident.

Bei Boliviens Bevölkerung galt bislang als offenes Geheimnis, daß die Präfekturen Selbstbedienungsläden der Oligarchie waren. Zusammen mit dem neuen Gesetz für Transparenz soll den Berufspolitikern nun die »Nuckelflasche des Staates« aus den Händen gerissen werden. Auch politisch geht es um viel. Die Tiefland-Departamentos sind bis heute Rückzugsgebiet der im Dezember 2005 aus der nationalen Politik abgewählten alten Elite Boliviens, die das Land an den Rand eines Bürgerkrieges manövriert hatte. Die jetzt beschlossene Übergangsregelung bleibt bis zum 22. Juli bestehen, bis dann muß das Parlament das endgültige »Autonomie-Rahmengesetz« beschlossen haben.

* Aus: junge Welt, 26. Mai 2010


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