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450 000 Dollar für Schwiegersohn

Bolivien: Korruptionsskandal im verstaatlichten Erdgasunternehmen

Von Benjamin Beutler *

Bolivien ist in den Alltag zurückgekehrt. Nach den Feiern zum Inkrafttreten der Verfassung am Wochenende sorgte ein spektakulärer Korruptionsfall am Dienstag bereits wieder für Schlagzeilen. Tags zuvor hatte die Ministerin für Transparenz Nardi Suxo erklärt, es würde jetzt direkt gegen den Präsident des staatlichen Erdöl- und Erdgasunternehmen »Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos« (YPFB), Santos Ramírez, ermittelt. In der Nacht zum Mittwoch dann wurde er verhaftet. Der Vorwurf lautet auf »Nichterfüllung von Pflichten, unrechtmäßiger Einflußnahme und dem Abschließen von für den Staat schädlicher Verträge«. Präsident Evo Morales, zugleich Vorsitzender der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS), hatte zuvor ein hartes Durchgreifen gegen Korruption in den eigenen Reihen angekündigt: »Ich werde keinen Personen verzeihen, die wirtschaftliche Ressourcen der Firma veruntreuen. So etwas muß bestraft werden, egal, wen es trifft.« Mitte vergangener Woche war Ramírez, der in einen Auftragsvergabebetrug in Millionenhöhe zwischen einer dubiosen Baufirma und YPFB verstrickt ist, entlassen worden.

Ins Rollen war der Skandal vor drei Wochen gekommen, als der bolivianische Unternehmer Jorge O?Connor in La Paz bei einem bewaffneten Raubüberfall auf offener Straße getötet wurde. Bei sich trug er 450 000 US-Dollar, die er laut Ermittlungsbehörden beim Schwiegersohn von Ramírez abgeben wollte. Die Firma »Catler Uniserve« des Ermordeten hatte 2008 eine 86-Millionen-Ausschreibung über den Bau einer Gas-Verflüssigungsanlage gewonnen und sich dabei gegen starke internationale Konkurrenz durchgesetzt. Allerdings, so kam jetzt ans Licht, besitzt »Catler Uniserve« weder die notwendige Erfahrung noch die finanziellen Möglichkeiten auf dem Gebiet, um den vergebenen Staatsauftrag vertragsgerecht ausführen zu können. Der damalige YPFB-Chef hatte trotz des offensichtlichen Verstoßes gegen bolivianisches Vergaberecht per Unterschrift den Auftrag »Catler Uniserve« zugesprochen, die nicht einmal im nationalen Handelsregister geführt wird.

Die Räuber der 450 000 US-Dollar wurden schnell gefaßt. Es handelte sich um die Brüder Córdoba, die in La Paz ins Prostitutionsgeschäft verwickelt sind und direkte familiäre Verbindungen zur rechten Oppositionspartei PODEMOS haben. Die gestohlene Summe betrug pikanterweise genau zehn Prozent der ersten 4,5-Millionen-Marge, die YPFB an »Catler Uniserve« angewiesen hatte, womit die Schmiergeldzahlung an die Ramírez-Familie als sicher gilt.

Ersetzt wurde der ehemalige Senatspräsident und MAS-Urgestein Ramírez durch den Ökonomen und Planungsminister Carlos Villegas, der das »volle Vertrauen« von Morales genießt. Allerdings hatte Villegas selbst Ramírez einst zum YPFB-Chef berufen -- damals noch in seiner Funktion als Minister für fossile Brennstoffe. Seit Morales' Nationalisierungsdekret 2006 ist YPFB zuständig für das gesamte Öl- und Gasgeschäft des Landes mit den zweitgrößten Gasvorkommen Südamerikas. Doch kommt das Staatsunternehmen seitdem nicht zur Ruhe. Allein in drei Jahren sah man sechs Firmenchefs kommen und gehen, im Schnitt alle sechs Monate einen neuen Manager.

»Wir werden die Korrupten finden, ohne nach Vor- und Nachnamen oder Freundschaften zu fragen. Sie haben der Staatsfirma Schaden zugefügt und dafür werden sie von uns ins Gefängnis gesteckt«, so Vizepräsident Álvaro García Linera. Tatsächlich scheint es der MAS, die sich als eines der wichtigsten Ziele die Bekämpfung der in Bolivien traditionell hohen Korruption auf die Fahnen geschrieben hat, vorerst gelungen zu sein, politischen Schaden abzuwenden. Doch werden finanzielle Einbußen kaum zu vermeiden sein. Finanzminister Luis Arce Catacora informierte jüngst, daß von insgesamt 48 Millionen Dollar, die seit der Auftragsvergabe 2008 der Betrügerfirma zugesichert wurden, schon 35 Millionen investiert wurden.

Derweil fordert Walter Guiteras aus dem Untersuchungsausschuß des Senats die Auflösung des Vertrages. Die 35 Millionen könnte sich der Staat auf juristischem Wege zurückholen, es wäre »für das gesamte Land tragisch, wenn wir mit einem 86-Millionen-Vertrag weitermachen«, der nie erfüllt werden könne.

* Aus: junge Welt, 12. Februar 2009


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