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Bischöfe schießen quer

Bolivien: Katholische Kirche stellt sich gegen Präsident Evo Morales

Von Benjamin Beutler *

Das Verhältnis zwischen der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) und der katholischen Kirche hat einen neuen Kratzer bekommen. Grund ist ein zu Wochenbeginn vorgestellter Brief der »Katholischen Bischofskonferenz Boliviens« (CEB). In dem auf der CEB-Internetseite veröffentlichten Schreiben »Güte und Wahrheit« malen die Geistlichen ein wahrhaft düsteres Bild des Landes. »Wir teilen die Besorgnis über einige Aspekte der aktuellen Wirklichkeit in Bolivien, die von verschiedenen Gruppen und Teilen aus Kirche und Gesellschaft an uns herangetragen wurden«, schlagen die vom Vatikan ernannten Priester Alarm. »Viele Menschen fühlen sich verfolgt, weil sie ein Denken zum Ausdruck bringen, das mit dem im Land errichteten politischen Projekt nicht einverstanden ist«, sehen die Kleriker Boliviens Demokratie in akuter Lebensgefahr.

So sei man ernsthaft besorgt über die seit Ende Juli laufende Volksbefragung im »Indigenen Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« (¬TIPNIS). Die erste Konsultation indigener Völker überhaupt im Andenland über den Bau einer umstrittenen Straße habe die »Teilung« der Anwohner in Befürworter und Gegner provoziert. Mit »Geschenken und politischer Anerkennung« von Straßenbefürwortern stelle die Regierung von Präsident Evo Morales eine »Gefahr für Harmonie und friedliches Zusammenleben« der über 5500 TIPNIS-Bewohner dar, bedauert das vom CEB-Generalsekretär Oscar Aparicio Céspedes unterzeichnete Papier die Politisierung der Bevölkerung. »Monsignore Aparicio« ist im April von Papst Benedikt XVI., der dem nach dem »sanftem Putsch« an die Macht gekommenen und international isolierten Präsidenten Paraguays Federico Franco eine Audienz erteilte, zum offiziellen Bischof der Streitkräfte ernannt worden.

Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú hat eine völlig andere Sichtweise auf die Realität Boliviens. Die Konsultation im Nationalpark lobte die derzeit in La Paz weilende Guatemaltekin vom Volk der Quiché-Maya als »konstruktiv«. Bolivien sei ein Vorbild »nicht nur für Lateinamerika, sondern für die ganze Welt«, hebt die UNESCO-Sonderbotschafterin zur Förderung einer Kultur des Friedens und der Rechte indigener Menschen bei ihrem Besuch im Andenland hervor. »Was in Bolivien vorangeht, das ist die Wiederherstellung der Würde der Völker des ganzen Planeten, der Vielfältigkeit. Und wenn das hier scheitert, dann scheitern wir alle«, forderte Menchú in der Tageszeitung Cambio einen »Sinneswandel gegen die Macht des Rassismus«. Bisher hat sich eine Mehrheit der befragten TIPNIS-Gemeinden für Straßenbau, Krankenhäuser und Schulen ausgesprochen.

Mit dem Statement stellt sich Boliviens Klerus an die Seite der alten wohlhabenden und europäisch-stämmigen Elite. »Weil es keine Garantie auf einen fairen Prozeß gibt, leiden viele Menschen, Inhaftierte, Exilierte und politische Flüchtlinge«, macht die CEB Täter zu Opfern. Erst kürzlich war ein Aufschrei der Empörung durch die Zehn-Millionen-Einwohnernation gegangen, nachdem Washington zum wiederholten Male ein Auslieferungsgesuch von dem in die USA geflüchteten Expräsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada abgelehnt hatte. 2003 hatten »Goni« und der nach Miami geflohene frühere Verteidigungsminister Carlos Sánchez Berzain die Armee auf Demonstranten schießen lassen. Über 60 Menschen starben. Wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« sollen sich die beiden vor Gericht verantworten. In Haft sitzt hingegen der Expräfekt des Departamentos Pando, Leopoldo Fernández. Dem Vertreter der Landbesitzeroligarchie im Tiefland wird wegen Mitverantwortung am »Massaker von Pando« der Prozeß gemacht; im September 2008 hatten Funktionäre des Präfekten 18 Bauern erschossen. Wegen Mittäterschaft und Betrug mit Staatsland ist auch Pandos Exsenator Roger Pinto angezeigt. Seit drei Monaten sitzt der Großgrundbesitzer und Weggefährte des von 1971 bis 1978 als Militärdiktator regierenden Hugo Bánzer nun bereits in Brasiliens Botschaft in La Paz fest, wo er politisches Asyl beantragt hat.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. September 2012


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