Morales streitet mit der Justiz
Bolivens Staatschef klagt gegen Verfassungsrichter
Von Benjamin Beutler, Santa Cruz de la Sierra *
Ein Urteil des Verfassungsgerichtes und die Reaktion des Präsidenten Evo Morales provozieren
derzeit eine direkte Konfrontation zwischen der Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS)
und konservativen Vertretern der bolivianischen Rechtsprechung.
Das Vorhaben von Evo Morales, Bolivien neu zu gründen, bleibt nicht ohne Widerstand. In dem
Andenland wacht das Verfassungsgericht über die Einhaltung der aktuellen Magna Charta, vier der
derzeitig fünf Verfassungsrichter stammen aus Zeiten des in die USA geflüchteten Ex-Präsidenten
Gonzales Sánchez de Lozada. Höchste juristische Instanz ist daneben das Oberste Gericht.
Opposition wider Präsidenten-Dekret
Auslöser der aktuellen Eskalation ist eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes über das
Präsidenten-Dekret Nr. 28993. Im Dezember 2006 hatte der bolivianische Präsident vier Richter für
das Oberste Gericht ernannt, was bei kurzfristigen Vakanzen durchaus üblich ist. Das Gerichtsurteil
nun erklärte das Dekret für verfassungswidrig. Morales beklagt die vermeintliche Parteilichkeit dieser
Entscheidung: »Es hat sich gezeigt, dass das Gericht auf politischer, nicht auf juristischer Grundlage
entscheidet.« Die Mitglieder des Verfassungsgerichtes würden im Zusammenspiel mit der
Opposition versuchen, den aktuellen gesellschaftlichen Wandel durch eine Flut von
Verfassungsklagen zu behindern. Zwei Senatoren der Oppositionspartei PODEMOS hatten die
Klage gegen das nun kassierte Dekret eingereicht.
Zahlreiche Rechtsexperten weisen darauf hin, das Verfassungsgericht habe eindeutig seine
Kompetenzen überschritten, da es in seinem Urteil eine Entlassung der Richter anordnet, anstatt
sich auf Prüfung der Verfassungskonformität zu beschränken. Aus diesen Gründen strengt Morales
nun ein Verfahren gegen die Verfassungsrichter an: »Wir brauchen eine Justiz, aber sie soll für die
Allgemeinheit da sein mit Richtern, die dem Volk dienen, nicht solche, die sich an der Justiz
bedienen.«
In Bolivien werden die Richter des Obersten Gerichts wie auch die des Verfassungsgerichtes vom
Kongress mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Periode von zehn Jahren ernannt. Im Kongress –
hier tagen die Parla-mentsabgeordneten und Senatoren – hat der MAS nicht die erforderliche
Mehrheit, um ihre Kandidaten durchzusetzen. Derzeit stehen mehrere Richterposten zur Disposition,
was die unnachgiebige Haltung auf Seiten der Regierung und der Opposition befördert. Mehrmals
schon hatte Morales darauf hingewiesen, man habe die Wahlen gewonnen, nicht aber die gesamte
Macht im Staate.
Das Gerichtsurteil gegen sein Dekret ist ein geeigneter Anlass zur Übernahme der »Dritten Macht«
im Lande, die er jüngst beschuldigte, dem Volk jedes Jahr »300 Millionen US-Dollar zu stehlen«.
Transparency kritisiert korrupte Justiz
Erst diese Woche stellte der »Bericht über die weltweite Korruption 2007« von Transparency
International die fatalen Auswirkungen der korrupten bolivianischen Justiz dar. 80 Prozent der
Befragten Bolivianer halten ihr Rechtssystem für nicht vertrauenswürdig, sei es aus Gründen der
Bestechlichkeit, sei es wegen Einmischung seitens der Politik.
»Auffällig, dass die Mehrheit der Verfassungsrichter zu Zeiten desjenigen Präsidenten ernannt
wurde, dem jetzt der Prozess gemacht werden soll«, verweist der Journalist Antonio Peredo Leigue
auf das laufende Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Präsidenten de Lozada. Und die vier vom
Verfassungsgericht zur Entlassung angeordneten Richter des Obersten Gerichtes wiederum sollten
dessen Ausweisung aus den USA anstrengen, sowie die Prozesse gegen weitere Verantwortliche
des »Schwarzen Oktobers« 2003 in die Wege leiten. Damals kamen bei Zusammenstößen zwischen
Demonstranten und Militärs 63 Menschen ums Leben.
* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2007
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