Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hunderte Kilometer Fußmarsch

Boliviens Indigene demonstrieren gegen ein Infrastrukturprojekt der Regierung

Von Benjamin Beutler *

Mit einem Aufruf zu Verhandlungen hat Boliviens Präsident Evo Morales am Montag abend (Ortszeit) auf einen Protestmarsch von rund 600 Indígenas reagiert, der sich wenige Stunden zuvor vom amazonischen Tiefland aus auf den rund 850 Kilometer langen Fußweg in Richtung La Paz, dem bolivianischen Regierungssitz, gemacht hat. Die Demonstranten wehren sich gegen den geplanten Bau einer Straße, die durch das »Indigene Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« (TIPNIS) im Herzen des Andenlandes führen soll. »Wir haben sie zu Verhandlungen eingeladen, aber sie nehmen am Dialog nicht teil«, kritisierte Morales die »politische Aktion« von Indigenen, Umweltorganisationen und Stiftungen, die von privaten Rundfunk- und Fernsehstationen unterstützt werden. Was die »mehr oder weniger ungesunden Medien« nicht zeigten, seien Bauern, Transportunternehmer und Geschäftsleute, die sich für den Straßenbau stark machen, prangerte auch Infrastrukturminister Walter Delgadillo an und forderte eine »Entpolitisierung der Debatte«.

Die Fronten zwischen Straßengegnern und Zentralregierung hatten sich in den zurückliegenden Wochen verhärtet. Um die Einheit gegenüber der von der Bewegung zum Sozialismus (MAS) geführten Regierung nicht zu gefährden, hatten die Indígenas »regionalen, zentralen, subzentralen Indígena-Organisationen und Capitanías« verboten, mit »Regierungsvertretern über jedes Thema, insbesondere über den Bau der Straße von Villa Tunari nach San Ignacio de Mojos«, zu verhandeln. Aus diesem Grund scheiterte in der vergangenen Woche auch ein Verhandlungsangebot der Regierung. Zugleich kündigte La Paz an, es werde zwar eine in der Verfassung garantierte Befragung der TIPNIS-Bewohner geben, doch werde diese »nicht bindend« sein. Die Straße sei ein »nationales Projekt« und werde gebaut, »ob sie wollen oder nicht«, legte es auch Morales auf eine Kraftprobe an.

Zankapfel zwischen der Exekutive im Palacio Quemado von La Paz und den Protestierenden ist »Abschnitt II«, ein Teilstück einer 306 Kilometer langen Straße zwischen dem Hochland-Departamento Cochabamba und Beni an der Grenze zum großen Nachbarn Brasilien. Die Trasse würde auf einer Länge von 177 Kilometern den Nationalpark durchqueren. 69 indigene Gemeinden mit rund 5100 Einwohnern leben in dem Areal, das mit 1,2 Millionen Hektar größer ist als die Karibikinsel Jamaika. Die Bewohner befürchten infolge des Straßenbaus eine Abholzung von Edelhölzern, illegale Kokapflanzungen und einen wachsenden Einfluß des »brasilianischen Imperialismus«.

Die Baupläne für die Asphaltader durch Boliviens grünes Herz liegen schon seit den 80er Jahren in der Schublade. Der Neubau würde den Umweg von einer Tagesreise über die Tieflandmetropole Santa Cruz hinfällig machen. Bisher fehlte für Infrastruktur im Bolivien der gefährlichen Straßen das Geld. Nun jedoch erhielt Bolivien von Brasiliens »Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung« (BNDES) im Rahmen des lateinamerikanischen Infrastrukturprogramms IIRSA einen 332-Millionen-Dollar-Kredit. Seitdem rollen die Bagger.

* Aus: junge Welt, 17. August 2011


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage