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Bolivien streitet über seltene Erden

Bergbau-Vorhaben entzweit indigene Hochlandbewohner / Regierung plant Referendum

Von Benjamin Beutler *

In Boliviens Andenhochland sorgen High-Tech-Rohstoffe für handfeste Interessenkonflikte. Die Regierung setzt auf Bürgerbeteiligung.

Mallku Khota liegt zwischen den Gemeinden Sacaca und San Pedro, eine raue Gegend im Norden des Departamento Potosí. »See des Kondors« haben die Aymara-Indigenen den Berg getauft, ihre Felder versorgen Bauern mit Wasser aus fünf Seen, die den Mallku Khota einrahmen. Wer nicht für eine Bergbau-Firma arbeitet, schürft illegal selber nach Gold. Seit Jahrhunderten ist die Hochebene auf über 4000 Höhenmetern bekannt für seinen Reichtum an Bodenschätzen. Aus dem Cerro Rico von Potosí ließen die Spanier den größten Silberschatz der Geschichte hämmern. Hunderttausende starben unter harter Zwangsarbeit, auf Schiffen ging das Silber nach Europa. Potosí hält bei Armut, Misere und Kindersterblichkeit den traurigen Rekord in ganz Lateinamerika.

Jetzt sorgt ein neuer Schatz für Konflikte. Bewohner zweier Aymara-Gemeinden hat der Protest gegen eines der größten Bergbau-Projekte Südamerikas auf die Straßen getrieben. Am Freitag machte sich ein Protestmarsch auf den Weg in Richtung Hauptstadt La Paz. 300 Kilometer wollen die im Hochlandindigenen-Verband CONAMAQ organisierten Bauern zu Fuß zurücklegen. Die zwei Gemeinden des »Indigenen Gebietes Ayllu Sullk'a Jilaticani« fordern laut eigenen Angaben die Enteignung der Compania Minera Mallku Khota (CMMK), hundertprozentige Tochter der kanadischen Bergbau-Firma South American Silver (SAS). Offener Tagebau führe zu Umsiedlung und Trinkwasserverseuchung, so CONAMAQ, dem eine Handvoll Stiftungen aus Europa und den USA Schützenhilfe leistet. Gefordert wird nicht weniger als ein Stopp aller Bergbau-Aktivitäten. Die Regierung hingegen vermutet illegale Goldschürfer und politische Motive hinter dem Marsch.

Milliarden stehen auf dem Spiel. Die Kanadier vermuten dort nicht nur eines der größten Silbervorkommen des Kontinents, 50 Millionen US-Dollar sollen bis 2015 investiert werden. Auch High-Tech-Rohstoffe wie Indium und Gallium, unverzichtbar für den Bau von LCD-Fernsehern, Leuchtdioden und Solarpaneelen schlummern in der Erde.

1996 hatte die neoliberale Regierung von Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada dem Konzern CMMK eine Erkundungs- und Aufsuchungsgenehmigung erteilt. Laut einer Ressourcenschätzung ein Abbau von mehr als 230 Millionen Unzen Silber, 1481 Tonnen Indium und 1082 Tonnen Gallium erwartet. Geldgeber für den Abbau der seltenen Zukunftsrohstoffe kommen aus Asien. Sie wollen sich durch Direktbeteiligung die Rohstoffe sichern.

Auch der Staat hofft auf Einnahmen, ein Drittel der Exporteinnahmen kommt aus dem Bergbau. 2010 erklärte die Linksregierung Bewegung zum Sozialismus unter Evo Morales bestehende Konzessionen zu »temporären Speziallizenzen«. Noch steht ein neues Bergbau-Recht aus, doch wird die Überführung der Förderrechte in Misch-Beteiligungen mit der staatlichen Bergbau-Firma COMIBOL erwartet. Ein Großteil der Gewinne bliebe dann in Bolivien. Der Linksregierung ist darum an einer raschen Beilegung des Streits gelegen. Ende vergangener Woche unterzeichneten Vertreter aus Gemeinden um Mallku Khota ein Abkommen. Man werde die Kanadier auf Zeit respektieren. Im Gegenzug will La Paz in den insgesamt 60 Gemeinden eine Volksbefragung über die Zukunft des Bergbau-Sektors initiieren, eine Verstaatlichung sei möglich. »In fünf Ayllus mit 60 Gemeinden sind nur zwei aus einem Ayllu dagegen«, hofft darum Vize-Präsident Álvaro García Linera auf eine friedliche Konfliktlösung.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 5. Juni 2012


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